Formal laufen die Anhörungen nach einem festen Schema ab. Sie werden von den für das Ressort der designierten Kommissionsmitglieder zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments (EP) durchgeführt und dauern jeweils drei Stunden. Zunächst geben die Anzuhörenden ein Eingangsstatement ab. Anschließend stellen die Abgeordneten ihre Fragen. Die Fraktionsvertreterinnen und -vertreter (Koordinatoren) der jeweiligen Ausschüsse bewerten unmittelbar nach den Anhörungen gemeinsam, ob die designierten Kommissionsmitglieder sowohl für die Mitgliedschaft im Kollegium als auch für die Wahrnehmung der ihnen übertragenen besonderen Aufgaben geeignet sind. Innerhalb von 24 Stunden nach Abschluss der Bewertung wird ein vertrauliches Empfehlungsschreiben an das Präsidium des EP weitergeleitet. Dieses nimmt die Abschlussbewertung vor. Anschließend stimmt dann das Parlament nach einer Debatte über das Kommissionskollegium als Ganzes ab. Vorgesehen dafür ist der 27. November 2024. Die neue Europäische Kommission könnte dann, sofern alles nach Plan läuft, ihre Arbeit am 1. Dezember aufnehmen.
In der Woche zwischen dem 4. und 7. November 2024 sind bereits 20 der 26 der designierten Kommissionsmitglieder von den jeweiligen Ausschüssen angehört worden. Auf große Vorbehalte bei den Abgeordneten ist der ungarische Kandidat für den Posten des Kommissars für Gesundheit und Tierwohl, Olivér Várhelyi, wegen seiner großen politische Nähe zum europakritischen ungarischen Präsidenten Viktor Orbán gestoßen. Nach Auffassung der Ausschussmitglieder bringe er nicht die nötigen Kenntnisse im Bereich der Gesundheitspolitik mit. Sie äußerten auch Bedenken über seine Position zum Abtreibungsrecht, das Ungarn unter Regierungschef Viktor Orban eingeschränkt hatte. Als bislang einziger Kandidat für die nächste EU-Kommission muss er deshalb in eine zweite Runde und bis zum 11. November 2024 weitere Fragen der Abgeordneten schriftlich beantworten. Bei der zweiten Abstimmung reicht die einfache Mehrheit. Auch bei der zukünftige Umweltkommissarin Jessika Roswall (EVP, Schweden) wurde von allen Fraktionen die schwache Vorstellung bei der Anhörung kritisiert. Sie wurde aber letztendlich, genau wie die Kandidatin für die Bereiche Resilienz, Krisenmanagement und Gleichstellung, die ehemalige belgische Außenministerin Hadja Lahbib (Renew), zusammen mit Várhelyi in einem Verhandlungspaket bestätigt.
Traditionell geht es in den Anhörungen nicht nur um Sachfragen. Die Hearings eignen sich auch zu parteipolitischen Auseinandersetzungen. Falls Vertreter oder Vertreterinnen einer Parteienfamilie durchfallen, könnten die anderen Fraktionen die Anwärter der anderen zurückweisen. Denkbar wäre ein solches Szenario auch am letzten Tag der Anhörungen. Sollte der italienische Kandidat Raffaelle Fitto (ERK) durchfallen, könnten Rechtsparteien und Konservative in den darauffolgenden Anhörungen den französischen liberalen Kandidaten Stéphane Séjourné und die spanische Sozialdemokratin Teresa Ribera ablehnen. Der bisherige Verlauf lässt allerdings einen reibungslosen Ablauf vermuten, da allen Seiten das Risiko einer solchen Eskalation bewusst ist. (UV)