Bei der Vorstellung des World Nuclear Waste Report (WNWR) 2019 am 5. Februar 2020 forderte die Präsidentin der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, dass Atomenergie angesichts vieler ungelöster Fragen im Umgang mit radioaktivem Abfall - auch im Zuge der Klimadebatte nicht mehr Teil der Energieversorgung der Zukunft sein dürfe. In der Spaltung Europas um die Zukunft der Atomenergie appellierte sie für mehr öffentliche Aufmerksamkeit für den Umgang mit radioaktivem Abfall, denn bislang habe noch kein einziges Land eine Endlagerstätte gefunden. Gemessen am Prinzip, dass der Umwelt nicht geschadet werden dürfe („no harm principle“), dürfe Atomenergie daher nicht länger als nachhaltiges Investment klassifiziert werden.
Der hessische Europastaatssekretär Mark Weinmeister erinnerte an die Schließung des Kernkraftwerks in Biblis 2011 und die damit verbundenen Anstrengungen rund um den Rückbau. Die ehemalige Europaabgeordnete Rebecca Harms (Grüne) beklagte, dass seit 1975 noch immer keine Lösung für eine sichere Endlagerung gefunden wurde und die Aufgabe daher an die nächste Generation übertragen werde. Angesichts der Klimaschutzdebatte warnte sie vor einer Renaissance der Atomenergie . Mehr als 80 Prozent des hochradioaktiven Abfalls weltweit werde in der Zwischenlagerung feucht statt trocken aufbewahrt, was eine hohe Umweltgefahr bedeute. Keiner der Staaten, die Atomenergie betreibe, habe hinreichend Finanzmittel für Rückbau und Endlagerung zurückgelegt.
Gordon MacKerron, Professor an der Universität von Sussex und Koautor des World Nuclear Waste Reports, führte die Gesundheitsrisiken aus und verwies auf den Bericht der Europäischen Kommission zur Implementierung der Richtlinie 2011/70/EURATOM vom
17. Dezember 2019. Der Bericht führt aus, dass ein Drittel der Mitgliedstaaten weder angemessene rechtlichen Vorschriften noch Leistungsindikatoren definiert habe und daher im Jahr 2018 Vertragsverletzungsverfahren gegen fünf Mitgliedstaaten eröffnet wurden. Koautor Johan Swahn, Leiter einer schwedischen Nichtregierungsorganisation für nuklearen Abfall (MKG), verwies angesichts der Langfristigkeit der Lagerung auf die Bedeutung, Information über die Lagerstätten und Inhalte an künftige Generationen zu übergeben. Da bisher noch kein Land weltweit eine sichere Tiefenlagerung für abgebrannte Kernbrennstoffe erschlossen habe, müsse diesem Thema eine wesentlich höhere Bedeutung zukommen. Beispielsweise wurde ein bereits 1988 entdecktes Leck in der Lagerstätte Asse II in Deutschland erst 2008 öffentlich kommuniziert, da sich die Entfernung von 220.000 Kubikmetern radioaktiven Abfalls und umgebenden Salzes als sehr schwierig und kostenintensiv darstellt. In Anbetracht der Erfahrung in Asse betrachtet Swahn daher die Absicht Schwedens, Atommüll in Kupferbehältern unterhalb des Meeresspiegels zu lagern, mit großer Sorge. Lediglich Finnland habe mit dem Bau einer sicheren Tiefenlagerung begonnen und sei das in der Endlagerfrage am weitesten vorangeschrittene Land. Koautor Ben Wealer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht - bis zur Abschaltung und dem Rückbau der Atomkraftwerke, von 6,6 Millionen Kubikmetern nuklearen Abfalls in Europa (ohne Russland und der Slowakei) aus. Dies schließt den Abfall durch Abbau von Uran und Brennstoffherstellung nicht ein. Weltweit wurde noch kein Großreaktor stillgelegt und zurückgebaut. Wealer forderte die Einhaltung des Verursacherprinzips und kritisierte, dass es die Regierungen bei der Einforderung der Kostenübernahme für den radioaktiven Abfall und für den Rückbau der Kraftwerke durch die Kraftwerkbetreiber an Konsequenz fehlen lassen.
Der sich auf Europa konzentrierende Bericht umfasst die Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Schweiz, Tschechische Republik, Ungarn sowie, als Vergleichsgröße, die USA. Der derzeit nur auf Englisch vorliegende Text steht in Kürze auch auf Deutsch, Französisch und Tschechisch sowie teilweise in Türkisch und Ungarisch zur Verfügung. (TS)