Das für den 26. und 27. März 2020 vorgesehene turnusmäßige Frühjahrs-Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschefs fand aufgrund der Corona-Pandemie am 26. März 2020 in Form einer Videokonferenz statt. Aufgrund massiver Divergenzen zur Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der Pandemie – Stichwort Corona-Bonds - dauerte das virtuelle Treffen statt der vorgesehenen zwei Stunden sechs Stunden. Es fand ein offener Schlagabtausch zwischen den nördlichen und den südlichen Mitgliedstaaten statt, den Ratspräsident Charles Michel nur mit großer Mühe und mithilfe etlicher diplomatischer Kniffe wieder einfangen konnte.
In der Gemeinsamen Erklärung im Anschluss an den Austausch bekräftigten die Staats- und Regierungschefs die fünf Prioritäten für die EU, die bereits bei den beiden vergangenen Videokonferenzen identifiziert worden waren und die die Folgen der Pandemie überschaubar halten sollen.
1. Eindämmung der Ausbreitung des Virus
Die nationalen Maßnahmen sollen durch die Leitlinien des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) sowie des wissenschaftlichen Beraterstabs zu COVID-19 der Kommission unterstützt werden.
Nicht unbedingt notwendige Reisen in die EU sind vorübergehend beschränkt, an den EU-Außengrenzen finden verstärkte Kontrollen statt. Über eine eventuelle Verlängerung dieser Maßnahme wird zu „gegebener Zeit“ entschieden.
Das Funktionieren des Binnenmarkts soll trotz vorübergehender Kontrollen an den Binnengrenzen durch ein reibungsloses Grenzmanagement für den Personen- und Güterverkehr auch weiterhin gewährleistet bleiben. Die Problematik der Grenzgänger und Saisonarbeitskräfte, die auch weiterhin wesentliche Tätigkeiten ausüben können sollen, soll mit Unterstützung der Kommission umgehend angegangen werden.
Eine transparente, zeitnahe und faktengestützte Kommunikation soll Desinformation entgegenwirken. Dies ist nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs unabdingbar, um die Resilienz der Gesellschaften der Mitgliedstaaten zu stärken.
2. Bereitstellung von medizinischer Ausrüstung
Nach Ansicht des Rats stellt die Bereitstellung medizinischer Ausrüstung in der gesamten EU die „dringlichste Priorität“ dar. Von Wichtigkeit ist, dass die Produktionsketten lückenlos sind. Bundeskanzlerin Merkel führte hierzu das Beispiel des deutschen Beatmungsgeräteherstellers Dräger an, der auf Zulieferungen aus anderen Ländern angewiesen ist. Was die Besorgung medizinischer Ausrüstung anbetrifft, erfolgt diese durch eine gemeinsame Beschaffungsinitiative der Mitgliedstaaten, koordiniert durch die Kommission. Die ersten gemeinsamen Beschaffungsverfahren sind erfolgreich verlaufen. Die Kommission wird weitere Initiativen zur gemeinsamen Vergabe von Aufträgen für medizinische Ausrüstung und Diagnosematerial einleiten. Ferner wird sie in Zusammenarbeit mit der Industrie eine Übersicht über die Bestände und die Produktion medizinischer Ausrüstung erstellen.
3. Förderung der Forschung
Auch in der Forschung sollen die gemeinsamen Anstrengungen fortgesetzt werden. Zentrales Anliegen sind nach wie vor die schnelle Entwicklung eines Impfstoffes sowie der hierfür notwendige enge wissenschaftliche Informationsaustausch. Die Staats- und Regierungschefs betonten aber auch, dass der Impfstoff ohne geografische Beschränkungen allen, die ihn benötigten, zur Verfügung stehen soll. Die bisherigen Initiativen der Kommission, des Europäischen Innovationsrates und der EIB-Gruppe wurden ausdrücklich begrüßt.
4. Bewältigung der sozioökonomischen Folgen
In ihrer gemeinsamen Erklärung haben die Staats- und Regierungschefs die Eurogruppe (Finanzministerinnen und -minister der Eurozone) aufgefordert, binnen zwei Wochen weitere Vorschläge zu erarbeiten, wie die besonders betroffenen Eurostaaten unterstützt werden können. Hintergrund ist, dass sich die Staats-und Regierungschefs nicht über so genannten Corona-Bonds, also gemeinsame europäische Anleihen, einigen konnten. Insbesondere Italien, unterstützt von weiteren südeuropäischen Ländern, fordert die gemeinsame Ausgabe von Anleihen zur Stabilisierung der Eurozone. Die nordeuropäischen Mitgliedstaaten, vor allem die Niederlande und Deutschland, lehnen diesen Vorschlag, der de facto eine Vergemeinschaftung von neuen Schulden auf europäischer Ebene bedeutet, jedoch ab. Sie bevorzugen die Nutzung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Diese Kreditlinie ist jedoch an Konditionalitäten geknüpft, was insbesondere von Italien abgelehnt wird, da die gegenwärtige Krise nicht der Kontrolle der Regierungen unterliege. Die Eurogruppe ist daher aufgefordert, mögliche Kompromisse bzw. neue Ideen auszuloten.
5. In Drittländern festsitzende Bürgerinnen und Bürger
Die Rückführung von Bürgerinnen und Bürger der EU, die in Drittstaaten festsitzen, soll aktiv unterstützt und koordiniert durchgeführt werden. Die Kommission soll in einem Addendum zu diesem Zweck zu den Leitlinien für das Grenzmanagement erleichterte Transitregelungen schaffen.
Über diese fünf Prioritäten hinaus forderten die Staats- und Regierungschefs die Kommission auf, einen Fahrplan, begleitet von einem Aktionsplan, zu erstellen. Er soll Maßnahmen enthalten, die erforderlich sind, um zu einem normalen Funktionieren der Gesellschaften und Volkswirtschaften in der EU zurückzukehren. Auch das nachhaltige Wachstum soll unter Einbezug der grünen Wirtschaft und des digitalen Wandels berücksichtigt werden. Schließlich soll die Kommission Vorschläge für ein künftiges ehrgeizigeres und breiter gefächertes Krisenmanagementsystem in der EU erarbeiten. (jbs/CM/JC/MK)
https://ec.europa.eu/germany/news/20200327-strategie-fuer-zeit-nach-corona_de