In dem Letta-Bericht wird die zentrale Rolle des EU-Binnenmarkts für die Position der EU in der Welt unterstrichen und als übergeordnete Prioritäten die Frage der Finanzierung einer fairen, ökologischen und digitalen Transformation des Binnenmarkts, die geordnete Erweiterung der EU sowie die Stärkung Sicherheits- und Verteidigungsindustrie identifiziert. Daneben fordert er unter anderem die weitere Harmonisierung im Energie‑, Digital- und Finanzbereich sowie die Beschleunigung des innereuropäischen Infrastrukturausbaus.
Die Finanzierung der ökologischen und digitalen Transition könne nur die Bündelung von Maßnahmen wie der Mobilisierung von privatem Kapitals, durch staatliche Beihilfen sowie öffentlicher Investitionen gestemmt werden. Konkrete Vorschläge sind etwa die Schaffung der Kapitalmarktunion, die Förderung der Nutzung des Kapitalmarktes durch KMU, die Schaffung einer EU-Börse für Deep Tech‑Unternehmen und die Einführung des digitalen Euro bis 2027.
Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts bildet der europäische Energiemarkt und die europäische Energieinfrastruktur. Zur Vertiefung des Binnenmarktes sollten benachbarte Mitgliedstaaten etwa damit beginnen, grenzüberschreitende Auktionen für die Erzeugung zusätzlicher erneuerbarer Energie abzuhalten. Dadurch könnten Effizienzgewinne erzielt und die Kosten gesenkt werden. Außerdem wird vorgeschlagen, die „Connecting Europe“-Fazilität zur Finanzierung von Energieprojekten mit europäischer Bedeutung im nächsten langfristigen Haushalt der EU aufzustocken.
Da einige EU-Mitgliedstaaten und Sektoren von zukünftigen EU-Erweiterungen stärker betroffen sein könnten als andere, bringt Letta einen neuen Fonds in die Diskussion ein, um Ungleichgewichte auszugleichen. In den letzten zwei Jahren haben einige eher erweiterungsskeptische Mitgliedstaaten ihre Besorgnis über die Kosten einer künftigen Erweiterung und die mögliche Belastung des Haushalts zum Ausdruck gebracht. Der Bericht stellt deshalb fest, dass flankierende Maßnahmen für die derzeitigen Mitgliedstaaten und eine Reform der Kohäsionspolitik entscheidend seien, um diese Bedenken auszuräumen. Letta schlägt deshalb eine Solidaritätsfazilität für die Erweiterung vor, durch die externen Effekte bewältigt und ein reibungsloser Erweiterungsprozess erleichtert werden soll.
Erhebliches Potenzial sieht Letta zum Ausbau des Binnenmarkts darüber hinaus in einer verstärkten Integration des europäischen Verteidigungsmarkts. Es müsse versucht werden, Marktführer zu schaffen, den Zugang zu Finanzmitteln zu verbessern und der Europäischen Kommission Kontrollbefugnisse zu übertragen. Um diesen gemeinsamen Markt für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu erreichen, sei es notwendig, das „Integrationsdefizit“ zwischen den EU-Verteidigungsunternehmen zu beseitigen, indem Barrieren, die mit nationalen Erwägungen bezüglich der Verteidigungsindustrie zusammenhingen, abgebaut würden. Zur Stärkung des Binnenmarkts sollten die europäischen Verteidigungskapazitäten gestärkt und als gemeinsamer Markt konzipiert werden, der allen Mitgliedstaaten Zugang zu den militärischen Kapazitäten garantiere, die für die Verteidigung ihrer Bürger und die Förderung des Weltfriedens notwendig seien, heißt es im Bericht.
Der Letta-Bericht ist bereits auf der Tagung des Europäischen Rates am 17. und 18. April 2024 thematisiert und die Erläuterungen zur Vertiefung des Binnenmarktes begrüßt worden. Der Rat möchte die Arbeit zu den gegebenen Empfehlungen bis Ende 2024 voranbringen. Im nächsten Schritt werden auf Grundlage des Berichts zwischen den Mitgliedstaaten Schlussfolgerungen abgestimmt, die beim Wettbewerbsfähigkeitsrat am 24. Mai 2024 angenommen werden sollen. Der Bericht Enrico Lettas sowie die Ratsschlussfolgerungen sollen dann in die nächste strategische Agenda der Europäischen Union für das Mandat der kommenden Europäischen Kommission einfließen. (UV)