Hochkarätige Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft und Politik haben am 27. Oktober 2020 auf dem Deutsch-Französischen Wirtschaftstag die Frage erörtert, wie die beiden Länder im Schulterschluss aus der aktuellen Krise kommen und einen Beitrag zur Zukunftssicherung der EU leisten können.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier unterstrich in seiner Eingangsrede, dass die Covid-19-Pandemie eine Neuaufstellung der Wirtschaft in der EU notwendig mache. Europa müssen nach Antworten auf die großen Herausforderungen Globalisierung, Digitalisierung und Klimaschutz suchen. Deutschland und Frankreich hätten mit ihren neuen Industriestrategien wichtige Voraussetzungen geschaffen, um gleiche Zugangsbedingungen für alle Marktteilnehmer zu setzen, nicht um den Freihandel zu beschränken. Mit der Batterie-Initiative bei Airbus und dem GAIA-X-Projekt für eine industrielle Computer-Cloud seien zukunftsweisende Maßnahmen ins Leben gerufen worden, um Schlüsseltechnologien in Europa zu halten und die technologische Autonomie zu gewährleisten. Damit solle langfristig die Souveränität der Union erhalten und das europäische Modell geschützt werden.
Der aus Frankreich stammende EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton betonte die hohe Priorität der Digitalisierung für wirtschaftliche Entwicklung und damit auch für die Arbeit der Kommission. Das zeige sich am eingeplante Finanzvolumen. Insgesamt sollen 150 Mrd. Euro des 750 Mrd. Euro umfassenden Corona-Wiederaufbaufonds in die digitale Transformation der EU fließen. Auch er verwies auf die Notwendigkeit eines widerstandsfähigen Marktes und von Autonomie. Breton nannte als wichtigste Bereiche eine „saubere“ Wasserstofftechnik, die gesicherte Versorgung mit kritischen Rohstoffen und digitale Infrastruktur. Mit der im April 2020 eingerichteten neuen Task Force SMET (Single Market Enforcement Task Force) und dem für Ende 2020 von der Kommission geplanten Gesetz über digitale Dienste (Digital Service Act) solle der Binnenmarkt robuster aufgestellt werden. KMU spielten eine entscheidende Rolle und müssten deshalb bei allen Entwicklungen und anstehenden Reformen mitberücksichtigt werden.
In einer Diskussionsrunde zur Frage, mit welchen Lösungen die Unternehmen in die „Digitale Zukunft Europas“ starten sollten, betonte Elie Girard, Geschäftsführer von ATOS Deutschland, die grundsätzlich gute Ausgangssituation europäischer Unternehmen bei der Nutzung von Verbraucherdaten, der Cybersecurity und der Dekarbonisierung. Die Nutzung von Verbraucherdaten sei ein vielversprechender Innovationsbereich, in dem eine Vielzahl neuer Dienstleistungen entwickelt werden könnte. Bei der Datensicherheit verfüge die EU über fortschrittlichere und sicherere Techniken als Mitbewerber und habe somit eine gute Position im globalen Wettbewerb. Die Dekarbonisierungsziele könnten nur über Investitionen in die Digitalisierung erreicht werden. Anschließend seien messbare Ergebnisse der Schlüssel zum Erfolg.
Sabine Jeschke, Vorstand Digitalisierung und Technik Deutsche Bahn, sah das größte Potenzial bei der Künstlichen Intelligenz (KI), deren Einführung sie in vier Schritte unterteilte: der erste sei die Arbeit mit Algorithmen, die Konnektivität über den 5G-Standart und die Schaffung der notwendigen Infrastruktur der zweite. Daran werde sich als dritter Schritt der Übergang zu Quantencomputer anschließen, um eine schnelle Verarbeitung der Daten zu gewährleiten. Und schließlich müsse sich auch die Einstellung der Europäer zur KI ändern. In Deutschland sei es selbstverständlich gewesen, in der Automobilproduktion eine Führungsrolle einzunehmen, bei KI seien Deutschland, aber auch die anderen EU-Mitgliedstaaten wesentlich zurückhaltender.
TheGreenBow-Geschäftsführer Jérôme Chappe sah die größte Herausforderung aller Digitalisierungsentwicklungen bei der IT-Sicherheit. Hier habe sich die Bedrohungslage geändert; nicht mehr einzelne Unternehmen stehen im Mittelpunkt von Angriffen, sondern ganze Staaten. Ziel auf europäischer Ebene müsse deshalb der Schutz der Wirtschaft durch autonome Lösungen sein. Entsprechende Angebote seien vorhanden. Sie müssten jetzt von allen Betroffenen, Wirtschaft, Verwaltung, Forschungseinrichtungen, genutzt werden.
Für die Chefvolkswirtin der Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Laurence Boone, sollten die zukünftigen wirtschaftlichen Prioritäten der EU in den Bereichen Gesundheitsschutz, Budget und Regeln für den globalen Handel liegen. Für den Gesundheitsschutz fordert sie Solidarität bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie einschließlich bei kommenden Impfmaßnahmen. Die umfangreichen zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel zur Krisenbekämpfung sollten schnellstmöglich abgerufen und in Zukunftsprojekte investiert werden. Ergänzt werden müssten die bereits getroffenen Maßnahmen zukünftig durch einen modernen Rechtsrahmen für die Handelspolitik. (UV)