„Die Unterstützung der Verletzlichsten in unserer Gesellschaft ist das, was uns als Europäer ausmacht“, sagte Vizepräsident Margaritis Schinas bei der Vorstellung der „neuen umfassenden Herangehensweise im Bereich der psychischen Gesundheit" am 7. Juni 2023. Für die EU sei der Moment gekommen, mit einer Blaupause, einem Rahmen, zur Verbesserung der Situation beizutragen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte die Vorlage einer solchen Strategie im Rahmen ihrer Rede zur Lage der EU im vergangenen Herbst angekündigt.
20 Initiativen listet die neue Strategie. Hierzu gehören die Entwicklung eines Europäischen Plans zur Depressions- und Suizidprävention, ein Europäischer Kodex für psychische Gesundheit und ein Netzwerk für psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Auch das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz wird aufgegriffen: „Arbeiten sollte niemanden krank machen“, stellte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hierzu fest. Stress und Burnout seien für die Hälfte aller Fehltage verantwortlich. Dies sei nicht akzeptabel. Sie kündigte an, dass die Kommission vor diesem Hintergrund eine Initiative zu psychosozialen Risiken vorlegen werde. Die Erforschung von Hirngesundheit ist ein weiterer Bereich, in dem die Kommission die Aktivitäten der EU stärken will.
Nach Aussagen der Kommission sind für die Umsetzung der Initiativen in verschiedenen Finanzinstrumenten 1,23 Mrd. Euro „identifiziert“. Die Mitteilung fasst hierbei allerdings vor allem Mittel zusammen, die für bereits bekannte Maßnahmen zur Verfügung stehen bzw. gestellt werden. Auch wenn er die Strategie als „letzten noch fehlenden Baustein der EU-Gesundheitsunion“ und das „finale Meisterwerk“ in deren Architektur bezeichnete, dämpfte Vizepräsident Schinas vielleicht auch vor diesem Hintergrund die Erwartungen an die europäische Ebene und verwies immer wieder auch auf die Mitgliedstaaten: Die Strategie sei kein Allheilmittel. Glück auf Knopfdruck gebe es nicht, auch nicht in Brüssel. Die EU-Initiative solle als Beginn einer Reise gesehen werden, die psychische und physische Gesundheit gleichstellt und hohe Ambitionen bezüglich dessen formuliere, was in Europa wirklich bedeutungsvolles getan werden könne.
Die ersten Reaktionen auf die Vorstellung der neuen EU-Strategie fielen dann auch eher gemischt aus: Die europäische Patientenvereinigung EPHA stellte fest, die Benennung der Probleme reiche ohne zusätzliche Mittel nicht aus. Das europäische Netzwerk Mental Health Europe bezeichnete die Kommissionsmitteilung als einen wichtigen ersten Schritt, der den Weg für weitere Entwicklungen bereite. „Wieder einmal haben wir es mit einer zahnlosen Initiative zu tun, die zum Scheitern verurteilt ist“ verlautbarte hingegen Eurocadres, einer der europäischen branchenübergreifenden Sozialpartner. Die S&D-Gruppe im Europäischen Parlament begrüßte die Mitteilung der Kommission und stellte fest, die EU müsse einem ganzheitlichen Ansatz für die psychische Gesundheit Priorität einräumen: „Wir brauchen bessere Instrumente, um die Stigmatisierung zu beenden, vorzubeugen, zu diagnostizieren, zu behandeln und diejenigen zu unterstützen, die es am meisten brauchen.“ Die irische EVP-Abgeordnete Maria Walsh stellte positiv heraus, dass gefährdete Gruppen und junge Menschen sowie die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz in der Mitteilung ausdrücklich erwähnt werden und ergänzte, sie wünsche sich „eine EU-weite Kampagne zur Bekämpfung der Stigmatisierung der psychischen Gesundheit, nicht nur nationale Maßnahmen“.
Das Europäische Parlament wird sich in diesem Jahr erneut mit dem Thema befassen: Der neue Unterausschuss für Öffentliche Gesundheit plant eine Initiativstellungnahme zum Thema psychische Gesundheit. Berichterstatterin ist Sara Cerdas (S&D). Bereits im vergangenen Jahr hatte sich das EP mit aus unterschiedlichen Perspektiven mit Aspekten psychischer Gesundheit befasst. (MK)