Das Windsor-Rahmenabkommen, benannt nach dem Ort, an dem von der Leyen und Sunak die Vereinbarung getroffen haben, betrifft die Bereiche Zoll, Agrarlebensmittel, Arzneimittel, Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern und sollen die Integrität des EU-Binnenmarkts, zu dem Nordirland einen einzigartigen Zugang hat, gewährleisten. Ergänzt wird es durch ein spezifisches Instrument für das Parlament des britischen Landesteils Nordirland. Durch die sogenannte Stormont Brake, benannt nach dem Ortsteil Belfasts, in dem das Gremium tagt, kann Nordirland Ausnahmen von der Anwendung des EU-Rechts fordern.
Die neuen Regelungen im Zollbereich beruhen auf einer erweiterten Anwendung des Prinzips des vertrauenswürdigen Händlers, dem sich Unternehmen in Großbritannien ebenfalls anschließen können. Für Waren, die von vertrauenswürdigen Händlern befördert werden gilt ein spezielles vereinfachtes Anmelde- und Abwicklungsverfahren, bei dem deutlich weniger Angaben nötig sind als bisher. Auch für den Frachtverkehr und die Beförderung aller Arten von Paketen sind erhebliche Zollerleichterungen vereinbart worden. Pakete, die von Verbraucher zu Verbraucher versandt werden, sind vollständig von den wichtigsten Zollvorschriften ausgenommen.
Lebensmitteleinzelhandelswaren, die für den Endverbrauch in Nordirland bestimmt sind, können gemäß der Vereinbarung mit minimalen Zertifizierungsanforderungen und Kontrollen aus Großbritannien verbracht werden. Für sie gelten die Gesundheitsstandards des Vereinigten Königreichs, während zum Schutz des EU-Binnenmarkts weiterhin die EU-Vorschriften für Pflanzen- und Tiergesundheit gelten. Schrittweise werden gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Kontrollen und diesbezügliche Kennzeichnungen eingeführt.
Auch zur Sicherstellung der Versorgung der nordirischen Bevölkerung mit Arzneimittel sind Regelungen vereinbart worden, die den Zugang unter denselben Bedingungen garantieren, wie für Menschen im restlichen Vereinigten Königreich. Neue Schutzmaßnahmen zur Kennzeichnung gewährleisten, dass Arzneimittel nicht in den EU-Binnenmarkt gelangen können.
Die vereinbarten Regelungen zu bestimmten Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuervorschriften beinhalten die Möglichkeit, die MwSt-Sätze des Vereinigten Königreichs auf unbewegliche Vermögensgüter, bei denen kein Risiko besteht, dass sie in den EU-Binnenmarkt gelangen, unterhalb der EU-MwSt-Mindestsätzen festzusetzen. Eine Mehrwertsteuerbefreiungsregelung des Vereinigten Königreichs für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) wird sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen gelten, sofern das Vereinigte Königreich den EU-Schwellenwert für die Größe von KMU einhält. Außerdem besteht zukünftig für das Vereinigte Königreich die Möglichkeit, alle alkoholischen Getränke nach ihrem Alkoholgehalt zu besteuern und ermäßigte Zollsätze für alkoholische Getränke festzulegen, wenn diese für den sofortigen Verzehr in Gaststätten in Nordirland bestimmt sind und die angewandten Sätze nicht unter den EU-Mindestzollsätzen liegen.
Ein neuer Notfallmechanismus, die „Stormont Brake“ sichert dem nordirische Parlament künftig mehr Mitspracherecht zu. Es kann auf Antrag von 30 Mitgliedern eine Art Notbremse ziehen und die britische Regierung auffordern, die Anwendung von EU-Regeln zum Warenverkehr, die erhebliche und dauerhafte Auswirkungen auf das tägliche Leben der dortigen Gemeinschaften haben, zu stoppen. Dieser Mechanismus soll allerdings nur unter den außergewöhnlichsten Umständen ausgelöst werden können.
Die getroffene Vereinbarung muss noch in rechtsverbindliche Instrumente umgesetzt werden. Dazu wird die Europäische Kommission (KOM) kurzfristig dem Europäischen Parlament und dem Rat Legislativvorschläge in den Bereichen gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen, Arzneimittel und Zollkontingente vorgelegen, die von den beiden Gremien anschließend beraten und beschlossen werden müssen. Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat angekündigt, dass sie das Verfahren im Zusammenhang mit ihrem Gesetzentwurf über das Protokoll zu Nordirland stoppt und es nicht weiterverfolgen wird. Weitere Details sollen in den kommenden Wochen auf einer Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses der EU und des Vereinigten Königreichs im Rahmen des Austrittsabkommens beraten werden. (UV)