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EuGH bestätigt weitgehend Gültigkeit der EU-Mindestlohnrichtlinie

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 11. November 2025 in einem wegweisenden Urteil die Gültigkeit der europäischen Mindestlohnrichtlinie weitgehend bestätigt. Damit hat der Gerichtshof die Zuständigkeit der Europäischen Union im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik gestärkt und zugleich klare Grenzen für Eingriffe in nationale Lohnfestsetzungen gezogen.
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Nach dem Urteil bleibt der europäische Rahmen für angemessene Mindestlöhne und die Förderung von Tarifverhandlungen bestehen. Für nichtig erklärt wurden jedoch zwei Bestimmungen zur nationalen Lohnfestsetzung – die verpflichtenden vier Kriterien zur Festlegung und Anpassung gesetzlicher Mindestlöhne (Kaufkraft, allgemeines Lohnniveau, Lohnwachstum, Produktivitätsentwicklung) sowie das Verbot, Mindestlöhne bei automatischer Indexierung zu senken. Diese Vorschriften stellten nach Ansicht des Gerichtshofs einen unmittelbaren Eingriff in die Entgeltfestsetzung der Mitgliedstaaten dar. Unberührt bleiben hingegen die sogenannten Referenzwerte für Mindestlöhne – etwa 60 Prozent des Medianlohns – sowie die Verpflichtung, bei geringer Tarifbindung Aktionspläne zur Stärkung der Tarifverhandlungen vorzulegen.

Ausgangspunkt war eine Klage Dänemarks aus dem Jahr 2023, der sich später Schweden angeschlossen hatte. Beide EU-Mitgliedstaaten verfügen über keine gesetzlichen Mindestlöhne und beriefen sich auf die fehlende EU-Kompetenz im Bereich der Lohnfindung und des Koalitionsrechts. Der Generalanwalt Nicholas Emiliou hatte dem Gerichtshof im Januar 2025 empfohlen, die Richtlinie vollständig für unwirksam zu erklären. Der EuGH folgte dieser Empfehlung jedoch nicht: Er stellte klar, dass die Union zwar keine Harmonisierung der Löhne betreiben darf, wohl aber Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des sozialen Schutzes ergreifen kann.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission (KOM), Ursula von der Leyen, begrüßte das Urteil als „Meilenstein für die Europäerinnen und Europäer“. Gewerkschaften wie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichneten die Entscheidung als „guten Tag für Millionen Beschäftigte in Deutschland und der Europäischen Union“. Sie betonen, dass die Mitgliedstaaten weiterhin verpflichtet seien, bei einer Tarifbindung von unter 80 Prozent gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Arbeitgeberverbände bewerteten das Urteil dagegen kritisch und warnten vor einer schleichenden Ausweitung der EU-Kompetenzen in der Sozialpolitik. Die Klägerstaaten verbuchten das Urteil als „Teilerfolg“ mit Blick auf die Begrenzung der Zuständigkeiten der EU.

Die EU-Richtlinie 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union trat am 14. November 2022 in Kraft. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU von ihrem Lohn angemessen leben können und die Tarifbindung gestärkt wird. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Rahmenbedingungen für angemessene Mindestlöhne zu schaffen und bei einer Tarifbindung von weniger als 80 Prozent nationale Aktionspläne zur Förderung von Tarifverhandlungen vorzulegen. Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie lief am 15. November 2024 ab. Nach Angaben der KOM sind seit Verabschiedung der Richtlinie die Mindestlöhne in der EU rasch gestiegen.

Die KOM prüft nun die Auswirkungen der für nichtig erklärten Bestimmungen. Für Deutschland hat das Urteil keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Höhe des Mindestlohns. Die Anpassung erfolgt weiterhin nach den Empfehlungen der Mindestlohnkommission. Aktuell liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 12,82 Euro und soll zum 1. Januar 2026 auf 13,90 Euro steigen. Bedeutung hat das Urteil aber für die Stärkung der Tarifbindung: Die Bundesregierung ist verpflichtet, einen entsprechenden Aktionsplan vorzulegen.

Weitere Informationen sind der Pressemitteilung des EuGH zu entnehmen. (VS)

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