Die dänische Regierung hatte 2023 gegen die EU-Mindestlohnrichtlinie eine Nichtigkeitsklage beim EuGH eingereicht. Dänemark sorgt sich, dass die Richtlinie das dänische Modell der Lohnverhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden untergraben könnte. Die Richtlinie gibt verbindlich vor, dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Bewertung der Angemessenheit der gesetzlichen Mindestlöhne Referenzwerte zugrunde legen, wie etwa 60 Prozent des Bruttomedianlohns oder 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns. Die Entscheidung über den konkreten Referenzwert bleibt bei den Mitgliedstaaten. Die Richtlinie musste bis zum 15. November 2024 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.
Nun folgt der Generalanwalt des EuGH der dänischen Argumentation: Die Mindestlohnrichtlinie greife direkt in die Festsetzung des Lohnniveaus ein, obwohl die EU-Verträge dem europäischen Gesetzgeber keine Kompetenzen zur Regelung von Löhnen zuweisen. Die Richtlinie müsse daher für nichtig erklärt werden, weil sich die EU nicht selbst ermächtigen könne. Da nach Ansicht des Generalanwalts Dänemarks Klage begründet ist, würden neben dem Europäischen Parlament und dem Rat unter anderen auch die Europäische Kommission sowie die Bundesrepublik, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten waren, die Kosten des Verfahrens tragen müssen.
Während die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) die Einschätzung des Generalanwalts begrüße, bezeichnet der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) die Stellungnahme als „Außenseitermeinung“ und warnt den EuGH davor, den „wichtigsten Rechtsakt für Arbeitnehmer auf EU-Ebene seit einer Generation“ aufs Spiel zu setzen.
Der EuGH folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts in den meisten Fällen, ist jedoch nicht dazu verpflichtet. Die Schlussanträge sind unabhängige und nicht bindende Gutachten, die dazu dienen, dem Gericht eine fundierte rechtliche Analyse und Empfehlung zur Entscheidung zu geben. Davon kann der EuGH abweichen, wenn er zu einer anderen rechtlichen Bewertung gelangt.
Weitere Informationen sind den vollständigen Schlussanträgen des Generalanwalts (in englischer Sprache) zu entnehmen. (VS)