Ausgangspunkt waren zwei Vorlageverfahren des Sechsten Senats des BAG. In beiden Fällen hatten Arbeitnehmende gegen ihre Kündigungen geklagt, weil die Arbeitgeber die nach der einschlägigen EU-Richtlinie über Massenentlassungen vorgeschriebene Anzeige bei der zuständigen Behörde nicht oder nur fehlerhaft erstattet hatten. Das BAG wollte wissen, ob eine solche Kündigung dennoch wirksam sein kann oder ob der Verstoß gegebenenfalls nachträglich geheilt werden kann. Der EuGH hat dies nun eindeutig verneint.
Nach dem Urteil in der Rechtssache „Tomann“ darf eine Kündigung im Rahmen einer beabsichtigten Massenentlassung erst nach Ablauf der 30-Tage-Frist wirksam werden, die mit der ordnungsgemäßen Anzeige bei der zuständigen Behörde beginnt. Erfolgt keine oder eine verspätete Anzeige, kann der Arbeitgeber den Mangel nicht nachträglich heilen. Der Gerichtshof betont, dass die vorgeschriebene Reihenfolge – Konsultation der Arbeitnehmervertretungen, Anzeige an die Behörde, anschließende Kündigungen – zwingend einzuhalten ist, um den präventiven Charakter der Richtlinie zu wahren.
Im Parallelverfahren „Sewel“ stellt der EuGH zudem klar, dass eine fehlerhafte oder unvollständige Anzeige ihren Zweck nicht erfüllt, selbst wenn die Arbeitsagentur keine Beanstandungen erhebt oder nach nationalem Recht zur Amtsermittlung verpflichtet ist. In einem solchen Fall läuft die 30-Tage-Frist gar nicht erst an. Die Mitgliedstaaten müssten wirksame Verfahren sicherstellen, damit die Anzeigepflichten tatsächlich eingehalten werden, so der Gerichtshof.
Mit den Entscheidungen stärkt der EuGH die unionsrechtlichen Mindeststandards beim Verfahren von Massenentlassungen und betont die Bedeutung einer vorgelagerten behördlichen Kontrolle. Für die deutsche Rechtsprechung bedeutet dies, dass die vom BAG erwogene Abkehr von der bisherigen Praxis einer automatischen Unwirksamkeit von Kündigungen bei Anzeigeverstößen aller Voraussicht nach nur in sehr engen Grenzen möglich ist. (VS)
