| Grenzüberschreitende Zuammenarbeit

Europäische Grenzregionen in der Corona-Krise: Was haben wir gelernt?

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe beschäftigt sich die Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel mit der Frage, wie sich die Corona-Krise in europäischen Grenzregionen auswirkt und welche Lehren aus der bisherigen Entwicklung gezogen werden können.

Den Auftakt der Reihe bildete am 16. Februar 2021 die Online-Diskussionsrunde „Europäische Grenzregionen im Nachstrom der Corona-Krise.“ Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Stéphanie Weydert, stellvertretende Bürgermeisterin der luxemburgischen Gemeinde Rosport-Mompach und Vizepräsidentin der Christlich-Sozialen Volkspartei in Luxembourg (CSV), der Abgeordnete und Mitglied des Ausschusses für Regionale Entwicklung (REGI) im Europäischen Parlament, der Ostbelgier Pascal Arimont (BE/EPP), sowie der Oberbürgermeister der saarländischen Stadt St. Ingbert und ehemalige Finanzstaatssekretär, Ulli Meyer (Bündnis 90/Die Grünen).

Zur Einleitung schilderten die Diskussionsteilnehmer in wenigen Sätzen, was für sie das Leben in einer europäischen Grenzregion ausmacht. Auffällig war dabei, dass der Begriff „Grenze“ meist eine sprachliche Veränderung erfuhr. Ein Beleg dafür, dass die empfundene Realität mit dem Namen nicht (mehr) abgedeckt wird. So war von „Gemeinschaftsregion“ oder „Kernregion“ statt Grenzregion die Rede. Alle Diskussionsteilnehmer stellten insbesondere die Solidarität, eine große Verbundenheit über (aber nicht nur durch) Projekte, die Zusammenarbeit, Synergien und die Schaffung von Mehrwert für die Menschen in den Grenzregionen heraus.

In Bezug auf die Corona-Pandemie bildete sich schnell ein Fokus auf die jüngsten Entwicklungen an der deutsch-österreichischen und der deutsch-tschechischen Grenze heraus. Die erneute Einführung von Grenzkontrollen und die Einreiseverweigerung für tausende Menschen wurden von den Diskussionsteilnehmern nach aktuellen Einschätzungen als „unverhältnismäßig“ eingestuft. Bei der unilateralen Einführung von Grenzkontrollen, vor allem ohne jede Rücksprache mit dem Grenzpartner, sei die Bevölkerung in besonderem Maße betroffen. Darüber hinaus fehle – so der Abgeordnete Pascal Arimont – ein wissenschaftlicher Beleg dafür, dass Grenzkontrollen so wirksam sind gegen die Verbreitung eines Virus seien, wie behauptet wird.

Ulli Meyer stellte dieser Einschätzung den Standpunkt des Verwaltungsvollzugs gegenüber und erklärte, dass Ergebnisse in einer Pandemie wichtig seien und neben Freizügigkeit auch der Schutz der Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Maßgabe sei. Man müsse, so Meyer, auch „Dinge ausprobieren“, um Menschen zu schützen. Darüber hinaus seien Restriktionen im Grenzverkehr kein Selbstzweck. Sie könnten eine Entwicklung nur verlangsamen.

Stéphanie Weydert erinnert an die Grenzschließungen im Frühjahr 2020, als sich gezeigt habe, wie zerbrechlich das Konstrukt der weggefallenen Grenzen in Europa doch sei. Mit „Entsetzen und Enttäuschung“ habe sie reagiert, als zum ersten Mal in ihrem Leben Grenzen geschlossen wurden. Vor allem, dass dies ohne Abstimmung geschah, sei schwer nachzuvollziehen gewesen. Das Chaos an den Grenzen sorgte damals – wie auch heute – für wirtschaftliche Schäden, Unmut bei der Bevölkerung und, was Weydert als besonders frappierend erlebte, für eine Rückkehr alter und unerwünschter Verhaltensmuster: die Anfeindung anderer Menschen aufgrund ihrer Herkunft aus einem stärker betroffenen Gebiet. Luxembourg selbst habe in der ersten Phase der Pandemie auch deshalb eine Benachteiligung erfahren, weil man mehr getestet habe als die Nachbarn.

Im Hinblick auf die Frage, wie die Großregion aktuell zusammenarbeitet, verwies Ulli Meyer, auf die sehr intensive Kommunikation und den dichten Austausch. Beim Gipfeltreffen der Großregion im Januar 2021 habe man neben der Pandemie und ihren Auswirkungen auch erkennen können, wie gut und verlässlich die Solidarität – besonders im Gesundheitswesen – unter den beteiligten Regionen war. Meyer nutzte die Gelegenheit, das allgemeine „EU-bashing“ in den Medien etwas zu relativieren. Die Strategie der gemeinsamen Impfstoffbeschaffung war richtig und gut für Europa, so der Oberbürgermeister.

Stéphanie Weydert begrüßte ebenfalls die große und ungebrochene Solidarität, zumal viele Grenzpendler der Region im Gesundheitssektor tätig seien. Auf lokaler Ebene funktioniere die Zusammenarbeit gut, das beweise auch die Kooperation Luxembourgs mit den französischen Nachbarn bei der Testauswertung. In Erinnerung an die Ereignisse im Frühjahr 2020 zeigt sich Weydert jedoch enttäuscht und erklärt, dass sie sich mehr Rückendeckung von den benachbarten Landesregierungen gewünscht habe.

Pascal Arimont beschrieb, dass die Großregion vor allem eines ermöglicht, wenn es um die Organisation und Bewältigung von Katastrophen und Krisen geht: den kleinen Dienstweg. Diesen Vorteil gelte es zu pflegen und diese Kooperationsräume zu erhalten. Im Rückgriff auf die erwähnte Impfstoffstrategie merkte Arimont an, dass die EU im Namen aller Mitgliedstaaten verhandelt habe und die Kritik, wie sie jetzt deutlich werde, schlicht „unfair“ sei. Man müsse aus der Krise auch lernen, was gut ist an Europa.

Im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip erläuterte Ulli Meyer, dass er sich eine bessere Integration aller Grenzregionen wünscht, beispielsweise im Rettungswesen. Der Abgeordnete des EP erklärt schließlich noch, dass es eine gemeinsame Pandemiesprache brauche, um Kriterien in den einzelnen Regionen auch wirklich miteinander vergleichbar zu machen und damit Grenzkontrollen in Zukunft angemessen zu gestalten. Daher setzt sich Arimont im Parlament auch für die Überarbeitung des Schengen-Codex ein, in dem ein Pandemiekapitel aufgenommen werden soll. Grenzschließungen, so der Abgeordnete, sollten niemals zur „neuen Normalität“ werden. Die Runde abschließend erklärte er, wie es auch in der Liebe der Fall sei, wisse man zumeist erst, was macht liebgewonnen hatte, wenn es verloren ging. (sch)

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