Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem vorläufigen Urteil vom 5. Mai 2020 entschieden, dass die Entlassung der Leiterin der Antikorruptionsbehörde Rumäniens, Laura Codruța Kövesi, gegen ihre Menschenrechte verstoßen hat.
Die Juristin hatte sich in ihrer fünfjährigen Amtszeit durch besonders hartes Durchgreifen bei Korruptionsverdacht im Zusammenhang mit Ministern, Bürgermeistern und anderen Amtsträgern einen Namen gemacht. 2018 hatte die damalige sozialdemokratische Regierung Rumäniens die Entlassung Kövesis gefordert und ihr vorgeworfen, über ihre Befugnisse hinaus zu handeln und die Autorität des Parlaments nicht zu respektieren. Staatspräsident Klaus Johannis unterzeichnete nach anfänglichem Widerstand schließlich die Entlassungsurkunde.
Kövesi hatte sich wiederholt öffentlich zu den geplanten Änderungen im rumänischen Rechtssystem geäußert, unter anderem in Hinblick auf den Versuch, Amtsmissbrauch zu entkriminalisieren. Die Juristin hatte auch Ermittlungen eingeleitet, um einen Erlass zu prüfen, der spezielle Korruptionsfälle straffrei machen sollte, und damit die größten Proteste in Rumänien seit der Revolution 1989 ausgelöst.
Der EGMR argumentierte in seinem Urteil, Kövesi habe diese Äußerungen in Ausübung ihres Amtes gemacht. Somit sei ihre Entlassung ein Verstoß gegen ihre Meinungsfreiheit. Da ihr zudem eine Berufung verweigert worden war, sei auch ihr Recht auf einen fairen Prozess verletzt worden. „Es scheint“, so der Gerichtshof in seinem Urteil, „dass die voreilige Entlassung das ausgegebene Ziel juristischer Unabhängigkeit unterwandert hat, statt es zu stärken.“ Das Urteil müsse ernüchternd auf Kövesi und andere Staatsanwälte gewirkt haben, die die Debatte um richterliche Unabhängigkeit verfolgt hatten, hieß es in einer Zusammenfassung des Urteils.
Die betroffenen Parteien haben nun drei Monate Zeit, die Große Kammer des EGMR um ein Urteil zu ersuchen. Sollte die Kammer eine Beurteilung ablehnen, wird das vorläufige Urteil rechtskräftig. Laura Codruța Kövesi wurde 2019 vom Europäischen Parlament als Leiterin der künftigen EU-Staatsanwaltschaft nominiert. (sch)