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Europäischer Haftbefehl – Drohendes Vertragsverletzungsverfahren

Die Europäische Kommission (KOM) hat Deutschland und drei weiteren EU-Länder (Tschechien, Kroatien und Lettland) im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens sogenannte mit Gründen versehene Stellungnahmen übersandt. Die Staaten haben nun zwei Monate Zeit zu reagieren und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Ansonsten kann die KOM beschließen, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen.
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Hintergrund ist die Umsetzung der Vorgaben über den Europäischen Haftbefehl in Deutschland. Der Europäische Haftbefehl ist am 1. Januar 2004 an die Stelle des langwierigen Auslieferungsverfahrens zwischen den EU-Mitgliedstaaten getreten. Mit der Einführung des Europäischen Haftbefehls sollten die Verfahren zur Übergabe von verfolgten Personen zwischen den EU-Mitgliedstaaten vereinfacht und beschleunigt werden.

Die KOM hatte bereits 2021 ein Aufforderungsschreiben und 2024 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an Deutschland gerichtet und ist nach Prüfung der Antworten zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland die Bestimmungen zum Europäischen Haftbefehl nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat. Im vorliegenden Fall bemängelt die KOM, dass folgende Regelungen nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt wurden: die Regelungen über konkurrierende internationale Verpflichtungen, fakultative und zwingende Ablehnungsgründe, die zuständige vollstreckende Justizbehörde, den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität, die Entscheidung bei Mehrfachersuchen, die Vorrechte und Immunitäten, die Lage in Erwartung der Übergabeentscheidung und die Durchlieferung. Unter anderem wurde im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens eine Bevorzugung von deutschen Staatsbürgern bei der Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen bemängelt. Zur Umsetzung dieser Vorgaben hat das Bundesministerium der Justiz im September 2024 einen Referentenentwurf vorgelegt. Das Gesetzgebungsverfahren ist allerdings zu keinem Abschluss gekommen. Dieser Entwurf sah unter anderem vor, dass die Entscheidung über die Vollstreckung und Auslieferung Europäischer Haftbefehle vollständig in die Zuständigkeit der Gerichte übertragen wird, da die deutschen Staatsanwaltschaften laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nicht die hinreichende Gewähr der Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive böten. Es bleibt abzuwarten, ob und wann die neue Bundesregierung die Vorgaben umsetzen wird. (LK)

Umfassende Informationen zum laufenden Vertragsverletzungsverfahren sind in der Presseerklärung der KOM abrufbar.

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