Im Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen Polen wegen disziplinarrechtlicher Regelungen für Richter (Rechtssache C-791/19) hat Generalanwalt Tanchev am 6. Mai 2021 seine Schlussanträge vorgelegt. Hiernach soll der Gerichtshof urteilen, dass das polnische Gesetz über die Disziplinarregelung für Richter gegen EU-Recht verstößt.
Die polnischen Regelungen sehen die Einrichtung einer Disziplinarkammer beim obersten Gericht (Sąd Najwyższy) vor. Diese Kammer kann sowohl Disziplinarmaßnahmen gegenüber Richtern des obersten Gerichts als auch gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit (in der zweiten Instanz) verhängen. Die Problematik der erlassenen Regelungen besteht vor allem darin, dass der Vorsitzende der Disziplinarkammer darüber entscheiden kann, welche Gerichte für die ordentliche Gerichtsbarkeit in der ersten Instanz für Verfahren betreffend Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuständig sind. Ebenfalls kann eine inhaltliche Sanktionierung von Gerichtsurteilen durch Disziplinarmaßnahmen erfolgen. Auch kann die Vorlage von Rechtsfragen an den EuGH einen Disziplinarverstoß darstellen.
Generalanwalt Tanchev sieht darin einen Verstoß gegen rechtsstaatliche
Grundsätze durch Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit und die Verkürzung von Verfahrensrechten. Unter anderem können die vorgesehenen Maßnahmen betroffene Richter und künftige Richter in ihrer Unabhängigkeit beschneiden, wenn diese jederzeit befürchten müssen, durch richterliche Entscheidungen Disziplinarmaßnahmen ausgesetzt zu sein.
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Die Pressemitteilung finden Sie hier. (AR)