Nachdem seine Wunschkandidatin für den Kommissionsposten für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Sylvie Goulard, vor dem EU-Parlament auch in zweiter Anhörung durchfiel, stellt Frankreichs Präsident Macron mit dem Industriemanager Thierry Breton nun seinen zweiten Kandidaten vor. Der Franzose Breton ist der Vorstandsvorsitzende des IT-Dienstleistungskonzerns Atos, welcher weltweit über 100.000 Mitarbeiter zählt. Seine politischen Sporen sammelte er unter Präsident Jaques Chirac, in dessen Kabinett er von 2005 bis 2007 das Amt des Ministers für Wirtschaft, Finanzen und Industrie bekleidete.
Der parlamentarische Ausschuss lehnte Sylvie Goulard aufgrund von ethischen Bedenken ab. Angesichts des ein oder anderen Skandals in der Karriere Bretons ist fraglich, ob es ihm in einer bevorstehenden Anhörung besser ergehen wird. Auch die Vorstandstätigkeit in diversen IT-Konzernen, wie Bull, France Télécom, Thomson und aktuell Atos könnte ihm als Interessenskonflikt für das von Frankreich zu besetzende Binnenmarktressort ausgelegt werden. So hatte Atos beispielsweise EU-Gelder zur Struktur- und Digitalisierungsförderung erhalten.
Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte bei einem Besuch in Helsinki, sie werde sich sobald wie möglich mit Thierry Breton austauschen und ihre Erwartungen für das Ressort besprechen. Eine persönliche Bewertung gab sie nicht ab, jedoch konnte man aus internen Kreisen erfahren, dass sie Breton für seine Erfahrung, insbesondere in Digitalthemen, schätzt.
Der ehemalige französische Premierminister und Sozialdemokrat Bernard Cazeneuve äußerte sich in einem französischen Radiosender positiv zum Vorschlag des konservativen Kandidaten Breton. Er habe die „Fähigkeiten und Qualitäten“ für den Posten als EU-Kommissar. Aus EU-Kreisen konnte man aber auch Kritik vernehmen. Macron hätte eine „unverständliche und riskante Wahl“ getroffen, hieß es. Breton sei zwar sehr klug, aber charakterlich von Arroganz geprägt. Darüber hinaus zeige er sich „ignorant gegenüber EU-Themen“.
In Anbetracht einer wahrscheinlicher werdenden Fristverlängerung im Brexit-Poker kündigte von der Leyen an, Großbritannien im Falle eines Aufschubs um einen Kandidaten zu bitten. Aufgrund des nahenden Austritts hatte man auf britischer Seite von Anfang an auf einen Vorschlag verzichtet. (KL)