Nach wie vor bestehen jedoch Bedenken, die sich in Bezug auf einige Mitgliedstaaten sogar noch verstärkt haben, beispielsweise zur Unabhängigkeit der Justiz und der Situation der Medien.
Der diesjährige Bericht befasst sich mit den neuen Entwicklungen seit dem letzten Bericht vom September 2020. Deshalb steht insbesondere die Widerstandsfähigkeit des Rechtsstaats während der COVID-19-Pandemie im Fokus. Die Pandemie habe nach Einschätzung der Kommission gezeigt, wie wichtig es ist, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit aufrecht zu erhalten.
In Bezug auf die Justiz stellt die Kommission im diesjährigen Bericht fest, dass fast alle Mitgliedstaaten Reformen ihrer Justizwesen durchgeführt haben, wenngleich sich Umfang, Form und Fortschritte unterscheiden. Einige wenige Mitgliedstaaten, insbesondere Polen, haben jedoch Reformen fortgesetzt, die die Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz schwächen, was neue Bedenken verursache. Bei der Korruptionsbekämpfung ist die EU als Ganzes nach wie vor weltweit führend. Unter den zwanzig der als am wenigsten korrupt eingestuften Länder der Welt befinden sich zehn Mitgliedstaaten. In manchen Mitgliedstaaten treten aber nach wie vor große bzw. hochkomplexe Korruptionsfälle auf.
Im Bereich Medienfreiheit und –vielfalt konstatiert die Kommission eine wachsende Belastung in Zeiten der COVID-19-Pandemie. Ein neuer Rekord an Sicherheitswarnungen für Journalisten zeige, so die Kommission, dass das Problem in der gesamten EU angegangen werden müsse. Der Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus (Media Pluralism Monitor) weist für das Jahr 2021 eine allgemeine Verschlechterung der Lage von Journalisten in mehreren Mitgliedstaaten aus. Darüber hinaus hätten einige Mitgliedstaaten seit dem letzten Jahr weitere Verfassungsreformen eingeleitet, um die institutionelle Gewaltenteilung zu stärken sowie Kontrollen und Garantien zu verbessern. Insgesamt hätten die nationalen Kontrollen und Gegenkontrollen während der COVID-19-Pandemie, die ein Stresstest für die Rechtsstaatlichkeit dargestellt habe, eine entscheidende Rolle gespielt.
Für Deutschland fiel das Urteil im Länderbericht insgesamt positiv aus. Beim Thema Korruptionsbekämpfung seien aber weitere Verbesserungen nötig. Die Kommission hob zwar das ab Januar 2022 geltende Lobbyregister hervor. Die Regeln für Nebentätigkeiten von Abgeordneten seien aber nicht streng genug, bemängelte die Kommission. Die Debatte war in Deutschland im Zuge der Corona-Pandemie aufgekommen, nachdem bekannt geworden war, dass mehrere Mandatsträger von der Beschaffung von medizinischen Schutzmasken finanziell profitiert hatten. Für Mitglieder der Bundesregierung mangele es zudem an Vorgaben, was die Offenlegung von Vermögen angehe, heißt es in dem Bericht weiter. Bei Parteispenden sah die Kommission etwa die Obergrenzen als zu hoch an. Negativ auf die Rechtsstaatsbilanz Deutschlands wirkt sich nach Angaben der Kommission auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anleihekäufen der EZB aus. Die Kommission hatte im Juni 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil das BVerfG nach Auffassung der Kommission bei seinem Urteil zum Anleihenkaufprogramm der EZB einem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union seine Rechtswirkung in Deutschland abgesprochen und somit gegen den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts verstoßen hatte. (UV)