In Deutschland werden die Gerichte weit überwiegend (80 Prozent) als unabhängig wahrgenommen. Die befragten Unternehmen bewerteten die deutschen Gerichte schlechter als Einzelpersonen. Sie hielten sie seltener für unabhängig, noch seltener für effektiv, und monierten, dass der Staat Druck auf Gerichte ausübe. Insgesamt hielten immerhin noch knapp 60 Prozent der Unternehmen deutsche Gerichte für effektiv oder überwiegend effektiv.
Im Justizbarometer wird besonders die Unabhängigkeit von Staatsanwälten gelobt: In 14 Mitgliedstaaten würden die Staatsanwälte entweder von einem unabhängigen Staatsanwaltsrat oder der Staatsanwaltschaft selbst ernannt. Die Befugnis der Exekutive (entweder des Justizministers, der Regierung oder des Staatsoberhaupts), Staatsanwälte zu ernennen, unterliege in fast allen Fällen einer gerichtlichen Überprüfung.
Erhebliches Verbesserungspotenzial sieht die KOM europaweit aber im Bereich der Digitalisierung: Nur sechs Mitgliedstaaten verfügten über Verfahrensvorschriften, nach denen Beweismittel in digitaler Form in Zivil-, Handels-, Verwaltungs- und Strafsachen zulässig seien. Darüber hinaus bestehe noch Verbesserungsbedarf bei der Möglichkeit, online ein Verfahren einzuleiten oder eine Klage einzureichen. Im europäischen Vergleich steht Deutschland in Sachen Digitalisierung recht gut da. Die KOM hat etwa untersucht, welche Staaten Online-Informationen über das Justizsystem für die breite Öffentlichkeit bereitstellen, welche digitalen Tools zur Verfügung stehen und wie sie genutzt werden. In Deutschland werden etwa Chatbots zur Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger bei der Suche nach Informationen über das Justizsystem eingesetzt und auch Angebote für Nicht-Muttersprachler gemacht. Außerdem stelle Deutschland transparente digitale Informationen zu Gerichtsgebühren und Prozesskostenhilfe zur Verfügung. Die Bürgerinnen und Bürger würden gut über ihre Verfahrensrechte informiert. Außerdem, so das Justizbarometer, seien die deutschen Prozessordnungen beim Thema Digitalisierung ausreichend. Auch bei der Nutzung von digitalen Tools und elektronischer Kommunikation schneidet Deutschland gut ab. Bei der Zahl der online veröffentlichten Urteile ist Deutschland wiederum nur im Mittelfeld, besonders schlecht steht es um die Veröffentlichung von erstinstanzlichen Urteilen.
Außerdem wird im Bericht positiv hervorgehoben, dass fast alle Mitgliedstaaten inzwischen Regelungen eingeführt hätten, die zum einen Menschen mit Behinderung den Zugang zum Recht und zu den juristischen Berufen ermöglichen und zum anderen Sorge dafür tragen, dass Kinder im Prozess optimal begleitet würden.
Die Ergebnisse des jährlichen Justizbarometers tragen zum Monitoring im Rahmen des Europäischen Semesters und des jährlichen Zyklus der Rechtsstaatlichkeit bei. Sie fließen auch in ihren Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2024 ein.
Das Justizbarometer ist ein vergleichendes Informationsinstrument, das die EU und die Mitgliedstaaten dabei unterstützen soll, die Leistungsfähigkeit der nationalen Justizsysteme zu verbessern. Dies geschieht durch die Bereitstellung von Daten über Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit der Justizsysteme in allen Mitgliedstaaten. (UV)
Weitere Informationen und vertiefende Hintergrunddokumente sind auf der Internetseite der KOM verfügbar.