Grundlage für die Überarbeitung der Vorschriften für den europäischen Binnenmarkt war eine Konsultation der Interessenträger, aus der die KOM die zehn schädlich größten Hindernisse für Unternehmen abgeleitet hat, die behoben werden müssten. Dazu gehören komplizierte Unternehmensgründungen, komplexe Vorschriften, mangelnde Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, fragmentierte Verpackungsvorschriften, restriktive Dienstleistungsregulierung, aufwändige Vorschriften für die Arbeitnehmerentsendung und mangelnde Produktkonformität. In der neuen Binnenmarktstrategie wird ein umfassendes Paket von zukünftigen Rechtsetzungsinitiativen in verschiedenen Bereichen vorgeschlagen.
Um Hindernisse im freien Warenverkehr zu beseitigen, plant die KOM etwa, die europäischen Vorschriften über Verpackungen und Kennzeichnungen zu modernisieren. In Zukunft sollen digitale Etiketten mit QR-Codes den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen einfachen Zugang zu Informationen über Produkte ermöglichen und es gleichzeitig für Unternehmen einfacher machen, die Kennzeichnungsvorschriften einzuhalten. Es ist vorgesehen, die Normungsverordnung zu überarbeiten. Die Geschwindigkeit und Flexibilität des Normungsprozesses soll damit erhöht und eine ausgewogenere Beteiligung der Interessenträger sichergestellt werden.
Obwohl der Dienstleistungssektor den größten Teil der EU-Wirtschaft ausmacht, bemängelt die KOM, dass die grenzüberschreitende Erbringung stagniere. Auf der einen Seite sollen deshalb bestehende Hürden beseitigt werden, etwa durch die Harmonisierung von Dienstleistungsgenehmigungs- und Zertifizierungssystemen auf der Grundlage des EU-Rechts, den Einsatz digitaler Instrumente und automatischer Systeme bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen oder die Einführung eines Europäischen Sozialversicherungspasses. Auf der anderen Seite verfolgt die Strategie einen neuen Ansatz um dem Dienstleistungsmarkt neue Dynamik zu verleihen. Sie konzentriert sich auf spezifische Fragen in bestimmten Dienstleistungssektoren. Nach dem Vorschlag der KOM soll etwa ein Baudienstleistungsgesetz und ein neues europäisches Zustellungsgesetz geschaffen werden, um die Vorgaben im Bauwesen sowie im Post- und Paketsektor zu modernisieren.
Da insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stark von komplexen Vorschriften betroffen sind, macht die KOM spezielle Vorschläge, um sie dabei zu unterstützen, ihre Chancen im Binnenmarkt optimal zu nutzen. Problemen bei der grenzüberschreitenden Niederlassung von Unternehmen soll durch die Schaffung einer sogenannten 28. Regelung für das europäische Gesellschaftsrecht begegnet werden, um Unternehmen die digitale Gründung und die Tätigkeit nach einheitlichen Regeln in der gesamten EU zu erleichtern. Außerdem wird die Einführung einer bestimmten Unternehmenskategorie für wachsende KMU, sogenannte kleine Midcap‑Unternehmen (siehe gesonderter Artikel), sowie einer „KMU-ID“ vorgeschlagen, ein Online-Tool zur einfachen Überprüfung des KMU-Status.
Die KOM weist in der Strategie aber auch auf die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für einen funktionierenden Binnenmarkt hin. Da dies eine enge Zusammenarbeit zwischen der KOM und den Mitgliedstaaten erfordert, schlägt sie vor, dass jedes Land einen hochrangigen Vertreter benennt. Dieser soll für die Anwendung der Binnenmarktvorschriften und für die Beseitigung nationaler Hindernisse zuständig sein.
Im Europäischen Parlament (EP) stieß die Binnenmarktstrategie grundsätzlich auf Zustimmung. Die rheinland-pfälzische Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des EP, Katarina Barley (DE/S&D), sagte: „Viele Vorschläge der KOM gehen in die richtige Richtung. Weniger unnötige Vorschriften und der Ausbau von digitalen Verfahren schaffen Tempo, senken Kosten und erleichtern den Alltag“. Gleichzeitig warnte sie davor, erforderliche Umweltstandards und Arbeitnehmerrechte abzuschaffen. Der bayerische Europaabgeordnete Markus Ferber (DE/EVP) erklärte, im Servicesektor sei noch viel Potenzial für mehr grenzüberschreitende Dienstleistungen. Er begrüßte vor allem die Ankündigung eines EU-weit einheitlichen Regimes für Unternehmensgründungen.
Ergänzende Informationen können der Presseerklärung und dem Fragen und Antwort-Katalog entnommen werden. (UV)