Mit der am 28. Oktober 2020 vorgestellten EU-Richtlinie möchte die EU Kommission ihr Versprechen einlösen, „faire Mindestlöhne“ einzuführen. Eine entsprechende Ankündigung hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen bereits zu ihrem Amtsantritt gemacht und in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union am 16. September 2020 nochmals bekräftigt.
Mit der jetzt vorgestellten Richtlinie hat die Kommission nun einen Vorschlag vorgelegt, der auf die Verpflichtung zur Einführung gesetzlicher Mindestlöhne ebenso verzichtet wie auf die Festlegung einer Untergrenze für Mindestlöhne. Stattdessen setzt die Kommission vor allem auf die Förderung von Tarifverhandlungen und die Anwendung von Kriterien, Referenzwerten und Indikatoren zur Bestimmung und Durchsetzung angemessener Mindestlöhne.
Konkret sind Maßnahmen in drei Bereichen vorgesehen:
- Sicherung angemessener gesetzlicher Mindestlöhne in den Mitgliedstaaten, in denen diese bereits bestehen.
Dies soll insbesondere über konkrete Kriterien und Richtwerte für die Festlegung des Mindestlohns und über eine regelmäßige und rechtzeitige Aktualisierung die Angemessenheit der Mindestlöhne sichergestellt werden. Kriterien, die nach dem Willen der Kommission herangezogen werden sollen, sind beispielsweise Kaufkraft, Entwicklung der Bruttolöhne oder Produktivität. Weiterhin werden die Mitgliedstaaten, die gesetzliche Mindestlöhne bereits etabliert haben, aufgefordert sicherzustellen, dass mögliche Variationen oder Abzüge verhältnismäßig angewendet werden und die Einbeziehung der Sozialpartner in die Festlegung des gesetzlichen Mindestlohns ebenso sichergestellt ist, wie der Zugang der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum gesetzlichen Mindestlohnschutz.
- Förderung von Tarifverhandlungen in allen Mitgliedstaaten.
Alle Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Maßnahmen für eine (weitere) Ausweitung zu treffen. Bei einer tarifvertraglichen Abdeckung von weniger als 70 Prozent soll zwingend ein Rahmen vorgesehen werden, der die Voraussetzungen für Tarifverhandlungen schafft. Dieser soll entweder durch Erlass eines Gesetzes oder durch eine Vereinbarung mit den Sozialpartnern geschaffen werden. Zudem muss ein Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen erstellt werden.
- Durchsetzung und Überwachung des bestehenden Mindestlohnschutzes.
Hierfür benennt die Kommission konkrete Maßnahmen, die bessere Durchsetzbarkeit des Mindestlohnschutzes z.B. durch die Sicherstellung der Einhaltung tariflich vereinbarter Löhne bzw. gesetzlicher Mindestlöhne bei öffentlichen Aufträgen oder durch die Einführung wirksamer Sanktionen bei Verstößen zu gewährleisten. Zudem sollen die Mitgliedstaaten der Kommission jährlich Daten über den Mindestlohnschutz vorlegen.
Die Fraktionen im Europäischen Parlament nahmen den Vorschlag unterschiedlich auf. In einer unmittelbaren Reaktion nach der Vorstellung der Richtlinie bezeichneten die Vorsitzende der S&D-Fraktion, MdEP Iratxe García Pérez (SP/S&D), den Vorschlag der Kommission als „eine gute Nachricht für alle Menschen, die mit niedrigen Löhnen überleben müssen, und für die von der Covid-19-Krise am stärksten betroffenen Menschen, von denen die Mehrheit Frauen sind.“ Dennis Radtke (DE/EVP), Sprecher der EVP-Fraktion im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, hatte bereits im Vorfeld der Veröffentlichung verlauten lassen, er begrüße die Initiative, sei jedoch auch froh, dass die Kommission „die linke Idee eines zentral beschlossenen einheitlichen Mindestlohns für die gesamte EU nicht aufgewärmt“ habe. Die europäischen Grünen bezeichneten den Vorschlag der Kommission als einen ersten Schritt, zeigten sich aber enttäuscht darüber, dass er hinter einem existenzsichernden Lohn zurückbleibe.
Als nächster Schritt wird der Richtlinienvorschlag Rat und Parlament zur Billigung vorgelegt. Wird er angenommen, müssen die Mitgliedstaaten die Bestimmungen der Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. (MK)
https://ec.europa.eu/germany/news/20201028-eu-richtlinie-mindestloehne_de
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_1967
https://www.eppgroup.eu/newsroom/news/for-a-decent-and-fair-living-in-europe