Vom 20. bis 21. Februar 2020 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten zu einem von Ratspräsident Charles Michel einberufenen Sondergipfel mit dem Ziel, eine Einigung für den künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027 zu erzielen. Trotz zahlreicher bilateraler Gespräche und Verhandlungen durch die ganze Nacht wurde der Gipfel wegen zu großer Differenzen zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern am 21. Februar 2020 ergebnislos abgebrochen.
Michel war vom regulären EU-Gipfel im Dezember 2019 mit der Verhandlungsführung beauftragt worden – abweichend von der bisherigen Gepflogenheit, dass dies bei der jeweils amtierenden Ratspräsidentschaft liegt – und hatte angekündigt, nur dann einen Sondergipfel einzuberufen, wenn man vom Abschluss der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten ausgehen könne. Zur Vorbereitung hatte er am 14. Februar 2020 eine neue Verhandlungsbox mit den wichtigsten Parametern vorgelegt. Danach wäre für die Jahre 2021 bis 2027 ein EU-Gesamtbudget von 1.095 Mrd. Euro an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen, also 1,074 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens (BNE). Der Vorschlag der zurückliegenden finnischen Ratspräsidentschaft von Anfang Dezember 2019 hatte insgesamt ein Volumen von 1.087 Mrd. Euro (1,07 Prozent des BNE) vorgesehen. Die Kommission unter dem seinerzeitigen Haushaltskommissar Günter Oettinger hatte ursprünglich 1,11 Prozent vorgeschlagen, das Europäische Parlament fordert nach wie vor 1,3 Prozent. Deutschland, Österreich, Dänemark, die Niederlande und Schweden fordern in den Verhandlungen eine Begrenzung auf 1,0 Prozent.
Insbesondere die so genannten „Frugal Four“ (also die sparsamen Vier Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande) verwiesen bereits im Vorfeld sehr deutlich auf die 1 Prozent-Grenze und die Beibehaltung der Rabatte für die Nettozahler. Vor dem Hintergrund des Brexit solle man nicht versuchen, das Budget mit allen Mitteln zu erhöhen, um die Nettozahler nicht noch mehr zu belasten.
Den Gegenpart hierzu bildeten die „Freunde der Kohäsion“ (die „Friends of ambitious Europe“, so der ungarische Ministerpräsidenten Viktor Orbán), 17 strukturschwächere Mitgliedstaaten aus dem Osten und dem Mittelmeerraum, die als Nettoempfänger maßgeblich von EU-Geldern profitieren und daher dafür plädierten, dass die Kohäsionsfonds auch in Zukunft trotz Brexit-Lücke üppig ausgestattet werden.
Die Zeit für eine Einigung drängt. Damit die neuen Förderprogramme pünktlich zum 1. Januar 2021 anlaufen können, müssten die Verhandlungen auch mit dem Parlament eigentlich schon abgeschlossen sein. Sollte es nicht rechtzeitig zu einer Einigung kommen, würden zwar die Kosten für die Verwaltung und die Agrar-Direktzahlungen weiter finanziert. In den kommenden drei Jahren können auch noch nicht verbrauchte Kohäsionsmittel abgerufen sowie die Programme in diesem Bereich abgeschlossen werden, sodass auch hier noch finanzieller Spielraum für die Übergangszeit verbleibt. Die Fördermittel für Forschung und Entwicklung sowie Erasmus laufen jedoch Ende des Jahres 2020 aus.
Im Vorfeld des Gipfels hatte die Bundesregierung betont, dass der Haushalt die Grenze von 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung nicht überschreiten soll. In Bezug auf die von Charles Michel vorgelegte Verhandlungsbox kritisierte Bundeskanzlerin Merkel eine unfaire Lastenverteilung zuungunsten der Nettozahler und insbesondere auch die fehlende Balance innerhalb der Nettozahler. Deutschland müsste fast drei Mal soviel wie der zweitgrößte Nettozahler Frankreich einzahlen. Daher sei auch die Fortführung der Rabatte erforderlich. Sie erklärte allerdings auch Deutschlands Bereitschaft zu Kompromissen, wenn der EU-Haushalt künftig stärker auf Zukunftsaufgaben wie Migration, Sicherheit, Klimaschutz und Innovation ausgerichtet würde. Auch die Ausgestaltung eines wirksamen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus ist für die Bundesregierung wichtig. In der abschließenden Pressekonferenz merkte Bundeskanzlerin Merkel lediglich an, dass die Differenzen noch zu groß waren, um eine Einigung zu finden. Ein während des Treffens von der Kommission vorgelegter technischer Entwurf sei aus deutscher Sicht schon von den Rahmenbedingungen her nicht stimmig gewesen und bot daher keine Grundlage für weitere Verhandlungen. (CM)