| Rechtsstaatlichkeit

Rechtsstaatlichkeits-Bericht 2022

Am 13. Juli 2022 hat die Europäische Kommission ihren dritten Jahresbericht über die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten vorgelegt, der zum ersten Mal länderspezifische Empfehlungen enthält, deren Umsetzung in den kommenden Jahren bewertet werden soll. Außerdem wurde erstmals der Zustand der öffentlichen Medien und deren Finanzierung untersucht.
©pixabay

Der jährliche Rechtsstaatlichkeitsbericht bewertet die Entwicklungen der Mitgliedstaaten in den vier Schlüsselbereichen Justizreformen, Korruptionsbekämpfung, Freiheit und Pluralismus der Medien sowie der institutionellen Gewaltenteilung. Fazit der Kommission (KOM) zur gesamten EU im Jahresbericht 2022 ist, dass in vielen Mitgliedstaaten weiter Reformen in der Rechtsstaatlichkeit durchgeführt wurden, um die in den beiden vorangegangenen Berichten aufgezeigten Herausforderungen anzugehen. Gleichzeitig bestehen mit Blick auf einige Mitgliedstaaten nach wie vor systemische Bedenken.

Für Deutschland gibt die Kommission fünf konkrete Empfehlungen ab: So sollen für das Justizsystem mehr Ressourcen bereitgestellt werden, einschließlich der Bezüge für Richterinnen und Richter. Die Pläne zur Schaffung eines Transparenzregisters sollten intensiviert werden, um eine Überprüfung und Nachverfolgung aller Interessenvertreter, die versuchen, die Gesetzgebung zu beeinflussen, zu gewährleisten. Außerdem empfiehlt die KOM, die bestehenden Vorschriften zum Wechsel von Beamtinnen und Beamten sowie die Karenzzeit für Ministerinnen und Minister nach ihrer Amtsausübung zu verschärfen und transparenter zu gestaltet. Darüber hinaus sollte in Deutschland ein Informationsrecht der Presse gegenüber den Bundesbehörden geschaffen werden, dass die europäischen Standards für den Zugang zu Dokumenten berücksichtigt. Und schließlich sollte der Plan zur Anpassung der Steuerbefreiung für gemeinnützige Organisationen vorangebracht werden. Auch hierbei soll Deutschland die europäischen Standards für die Finanzierung von Organisationen der Zivilgesellschaft beachten.

Für den Bereich Freiheit und Pluralismus der Medien konstatiert die KOM in ihrem diesjährigen Bericht, dass mehrere Mitgliedstaaten Maßnahmen angenommen oder intensiviert hätten, um die Sicherheit und Arbeitsbedingungen von Journalistinnen und Journalisten zu verbessern. Auch hätten mehrere Mitgliedstaaten seit dem letzten Bericht Maßnahmen ergriffen, um bei den Eigentumsverhältnissen im Medienbereich für mehr Transparenz zu sorgen. Bedenken bestehen aber nach wie vor hinsichtlich der mangelnden Transparenz bei der Vergabe staatlicher Werbeaufträge sowie mit Blick auf Interessenkonflikte und Hindernisse beim Zugang zu öffentlichen Dokumenten. In dem Bericht wurde erstmals auch der Bereich der öffentlich-rechtlichen Medien untersucht. Wegen deren besonderer Rolle für Gesellschaft und Demokratie müsse die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien geschützt und die öffentliche Finanzierung angemessen sein. Diese Ergebnisse stützen sich auf eine Reihe von Quellen, darunter der Überwachungsmechanismus für Medienpluralismus (MPM 2022), die Plattform des Europarates zur Förderung des Schutzes des Journalismus und der Sicherheit von Journalisten sowie die Plattform „Mapping Media Freedom“.

Für diesen Bereich hat die Kommission eine Reihe von Empfehlungen abgegeben, die unter anderem auf die transparente und gerechte Vergabe staatlicher Werbeaufträge, eine unabhängige Verwaltung der öffentlich-rechtlichen Medien und Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten abstellen. Der für das dritte Quartal 2022 angekündigte Rechtsakt zur Medienfreiheit wird mehrere der in den Berichten über die Rechtsstaatlichkeit aufgezeigten Probleme aufgreifen.

Insbesondere zwei Mitgliedstaaten stehen wegen massiver Mängel in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in der Diskussion. Trotz jahrelangen Drucks auf Polen und Ungarn attestiert die KOM beiden Ländern weiterhin gravierende Defizite bei Demokratie und Grundrechten. So bemängelt die Kommission in Polen seit Jahren die Einflussnahme der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Justiz. Zugeständnisse machte Warschau erst, nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im November 2021 eine tägliche Millionenstrafe verhängt hatte, die sich inzwischen auf 300 Mio. Euro summiert. Am 15. Juli 2022 trat in Polen ein Gesetz zur Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer in Kraft, die missliebige Richter entlassen oder bestrafen kann. Dies reicht der KOM zufolge jedoch nicht aus, um die Gewaltenteilung zu garantieren. Ungarn wird zudem des Missbrauchs von EU-Geldern verdächtigt. Die KOM hatte deshalb im Februar 2022 kurz nach der Wiederwahl von Regierungschef Viktor Orban ein Sanktionsverfahren eingeleitet, das zur Kürzung von EU-Subventionen führen kann. Wegen der mangelnden Fortschritte steht die Kommission als Hüterin der europäischen Verträge aber auch selbst in der Kritik. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments Katharina Barley (S&D/DE) kritisierte, dass die KOM bei der PiS-Regierung in Polen und Viktor Orban in Ungarn eine deutliche Sprache vermissen lasse. Als härtestes Druckmittel nutzt die EU den Corona-Wiederaufbaufonds. Solange Polen die Kommissionsforderungen nicht erfüllt, muss das Land auf Mittel im Umfang von 35,4 Mrd. Euro verzichten. Ungarn hat bisher keine Aussicht auf die ihm zugedachten 7,2 Mrd. Euro. (UV)

Teilen

Zurück