| EuGH-Urteil

Polnische Justizreform verstößt gegen Unionsrecht

Der Wert der Rechtsstaatlichkeit gibt der EU als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und schlägt sich in Grundsätzen nieder, die rechtlich bindende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten enthalten. Der EuGH hat dies in einem Urteil vom 5. Juni 2023 (C-204/21) zur polnischen Justizreform betont und damit festgestellt, dass die Befugnisse der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts gegen Unionsrecht verstoßen.

Der Entscheidung liegt ein durch die Europäische Kommission gegen Polen eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren zugrunde. Durch ein von Polen am 20. Dezember 2019 erlassenes Gesetz wurde die Organisation der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit und des Obersten Gerichts geändert. Der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts wurde die Befugnis verliehen, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf Status und Amtsausübung von Richtern auswirken. Die Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts erhielt die ausschließliche Zuständigkeit für die Überprüfung, ob unionsrechtliche Anforderungen an unabhängige, unparteiische und zuvor durch Gesetz errichtete Gerichte beachtet werden. Bei jedem weiteren nationalen Gericht wird diese Überprüfung als Disziplinarvergehen eingestuft. Richter werden darüber hinaus verpflichtet, Angaben zu ihren Aktivitäten in Vereinigungen oder Stiftungen und zu ihrer früheren Mitgliedschaft in einer politischen Partei zu machen. Die Angaben werden online veröffentlicht. Die Kommission ist der Ansicht, dass diese Regelungen mehrere Bestimmungen des Unionsrechts verletzen.

Der EuGH weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass er uneingeschränkt dafür zuständig ist zu überprüfen, ob ein Mitgliedstaat Werte und Grundsätze wie Rechtsstaatlichkeit, wirksamen Rechtsschutz und Unabhängigkeit der Justiz beachtet. Die Disziplinarkammer des polnischen Obersten Gerichts erfülle die Anforderungen an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht. Durch die ihr im Rahmen des Änderungsgesetzes übertragenen Aufgaben könne die Unabhängigkeit der Richter, die das Unionsrecht anzuwenden haben, beeinträchtigt werden. Das Gesetz könne so ausgelegt werden, dass die in der für Richter geltenden Disziplinarordnung enthaltenen Sanktionen nationale Gerichte von Vorabentscheidungsersuchen abhalten. Die Änderungen seien mit den Garantien auf Zugang zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht unvereinbar. Aufgrund der Garantien hätten nationale Gerichte unter Umständen zu überprüfen, ob sie selbst oder andere Gerichte den Anforderungen des Unionsrechts genügen. Die Übertragung der Prüfung von Rechtsschutzanforderungen an eine einzige nationale Instanz schwäche das Recht auf wirksamen Rechtsschutz.

Durch Beschluss vom 14. Juli 2021 wurde einstweilig angeordnet, die Anwendung der gerügten Bestimmungen auszusetzen. Zur Durchsetzung wurde mit Beschluss vom 27. Oktober 2021 ein Zwangsgeld in Höhe von einer Mio. Euro festgesetzt, das später auf 500 Tsd. Euro herabgesetzt wurde. Die Wirkung der Beschlüsse endet mit dem Urteil. Die Zahlungsverpflichtung bleibt hiervon unberührt.

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