Gleich zu Beginn ging von der Leyen auf die Leistungen und Errungenschaften der EU bezüglich der COVID-Pandemie ein. Die EU habe als weltweit einzige Region mehr als 700 Million Impfdosen für andere Länder bereitgestellt. Darüber hinaus könne die Quote von 70 Prozent Geimpfter unter allen Erwachsenen als Erfolg verbucht werden.
Nach dem Abzug der Truppen aus Afghanistan hat außerdem die zukünftige globale Rolle der EU einschließlich einer gemeinsamen Verteidigungspolitik einen prominenten Platz eingenommen. Das Thema Jugend zog sich wie ein roter Faden durch die Rede. Als Neuerung nannte von der Leyen unter anderem das Vorhaben, ein europäisches Wirtschaftssystem für Mikrochips entwickeln zu wollen, um Europas Abhängigkeit von Zulieferern in der ganzen Welt zu reduzieren.
2022 solle zum Jahr der europäischen Jugend ausgerufen werden, so die Kommissionspräsidentin. Damit wolle man anerkennen, welche Opfer der Jugend während der Pandemie abverlangt wurden. Auch wird es ein neues Mobilitätsprogramm geben, um jungen Menschen, die weder in der allgemeinen noch in der beruflichen Bildung sind, die Möglichkeit zu bieten, befristete Arbeitserfahrung in einem anderen europäischen Mitgliedstaat zu machen.
Die Präsidentin kündigte eine neue europäische Strategie für Pflege und Betreuung an. Weiterhin stellte sie die Vorlage eines Gesetzes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Aussicht, um eine wirksame Strafverfolgung, Prävention und Schutz online wie offline zu gewährleisten. Schließlich sprach sich die Kommissionspräsidentin für die Verbesserung der Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten aus und kündigte für kommendes Jahr ein Medienfreiheits-Gesetz an, mit dem die Unabhängigkeit der Medien in Europa und mit ihr auch die Demokratie gesichert werden soll.
Für die internationalen Beziehungen hat die Präsidentin ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Beziehungen mit der USA abgegeben. Gemeinsam mit den USA soll eine neue Agenda für den globalen Wandel entwickelt werden. Zur zukünftigen Positionierung Europas in der Welt hat sie die neue Strategie "Global Gateway" angekündigt. Für den 8. Mai 2022 ist zudem ein EU-Afrika-Gipfel geplant. Vor dem Hintergrund der Krise in Afghanistan hat sie auch eine weitere Aufstockung der humanitären Hilfe um 100 Millionen Euro angekündigt. Kommissionspräsidentin von der Leyen betonte, dass die EU dem afghanischen Volk zur Seite stehe, um eine schwere Hungersnot und eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan abzuwenden.
Im Bereich der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hat die Präsidentin zu mehr gemeinsamem Engagement aufgerufen. Sie hat eine Europäische Verteidigungsunion gefordert und die Organisation eines Verteidigungsgipfels in Zusammenarbeit mit der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 angekündigt. Die EU müsse sich besser mit neuartigen Bedrohungen, einschließlich Hybrid- und Cyberbedrohungen, auseinandersetzen.
Im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik hat Präsidentin von der Leyen primär auf das umfassende „Fit for 55“-Legislativpaket hingewiesen, das die Kommission im Juli 2021 vorgestellt hatte und mit dem die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent gesenkt werden sollen.
Zur Industriepolitik hat die Präsidentin ein „Europäisches Chipgesetz“ und die Entwicklung einer europäischen Halbleiterforschungsstrategie angeregt, um Europas Entwicklung zu stärken und die Abhängigkeit von globalen Lieferketten zu verringern.
Aus Sicht des Präsidenten des Europäischen Ausschuss der Regionen (AdR), Apostolos Tzitzikostas, war die Rede der Kommissionspräsidentin eine vertane Chance, die Europäische Union effektiver zu machen und den Bürgerinnen und Bürgern durch aktive Partnerschaften mit lokalen und regionalen Interessenvertretern wirklich näher zu bringen. Dies müsse man nun im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas noch einmal mit Nachdruck fordern.
Die Reaktionen der Fraktionen des Europäischen Parlaments fielen erwartungsgemäß aus. Der Vorsitzender der Volkspartei im Europäischen Parlament (EPP), Manfred Weber, erklärte, dass Europa dringend neue Arbeitsplätze schaffen müsse, auch im Gesundheitssektor, und forderte, die Europol zu einem „europäischen FBI“ auszubauen.
Iratxe Garcá Pérez bewertete als Fraktionsvorsitzende der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) den Kampf der EU gegen die Pandemie als positiv. Allerdings habe man nicht genug getan, um die wachsende Ungleichheit zu verringern und die Auswirkungen der Krise besonders auf die Schwächsten der Gesellschaft abzumildern, so Garcá Pérez.
Dacian Cioloş von der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (Renew Europe) kritisierte, dass die Kommission die im letzten Jahr beschlossene Konditionalitätsregelung für den EU-Haushalt (mit Blick auf Verstöße gegen die Rechtstaatlichkeit) nicht anwende und somit illiberale Bewegungen wie die Untergrabung der Unabhängigkeit der Justiz und Pressefreiheit nicht stoppe.
Der Co-Vorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament (Grüne/(EFA), Philippe Lamberts, forderte mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz und kritisierte, dass eine „Festung Europa“ kein respektierter geopolitischer Akteur auf der Weltbühne sein könne und die Sorge der Mitgliedstaaten einzig darin bestünde, die Migration afghanischer Menschen nach Europa zu verhindern.
Die Kommission hat umfassende Informationen zur Rede zur Lage der Union 2021 auf einer zentralen Internetseite zusammengestellt, wie beispielsweise den Redetext, eine Auflistung der zukünftigen Rechtsakte und Informationsblätter zu den Themen COVID-Impfungen, Digitalisierung, Klimawandel, Verteidigung, Rechtsstaatlichkeit, Soziales. (UV/AR/KG/CS/CD/sch)