Die Europäische Union als Friedensprojekt müsse so ausgebaut werden, dass ihre Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Stabilität auch gegenüber Herausforderungen von außen bestehen könne, so Scholz. Der erste Handlungsschritt sei die Verteidigung der Ukraine und der europäischen Werte gegenüber Russland. Dabei sollten sich die Mitgliedsstaaten koordinieren und solidarisch zeigen. Insbesondere müssten die ukrainischen Streitkräfte insoweit ausgestattet und modernisiert werden, dass sie in der Lage seien, ihr Land langfristig verteidigen zu können. Weiterhin rief Scholz zur Solidarität im Bereich der Energieversorgung und der politischen Diversifizierung auf: Um sich von den Weltmächten Russland und China lösen zu können, seien die bestehende transatlantische Partnerschaft sowie Investitionen in neue Partnerschaften mit Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika notwendig.
Für die Stärkung der EU sei die Erweiterung durch Beitritt der Staaten des Westbalkans, der Ukraine, Moldaus und perspektivisch auch Georgiens wichtig. Zunächst sei es unerlässlich, dass diese Staaten die Beitrittsbedingungen erfüllten. Jedoch müsse die EU sich durch Reformen auf die Erweiterung vorbereiten, etwa durch den schrittweisen Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Fiskalpolitik. Ein Festhalten am Prinzip der Einstimmigkeit funktioniere nur, solange der Handlungsdruck gering sei. Spätestens angesichts der Zeitenwende sei dies aber nicht mehr der Fall. Die Alternative wäre „ein unübersichtlicher Wildwuchs“ oder eine zunehmende Handlungsunfähigkeit.
Im Sinne der europäischen Souveränität müsse die Europäische Union eigenständiger werden. Dabei setzt Scholz auf weitere, nachhaltige Freihandelsabkommen und eine ambitionierte Handelsagenda. Vor allem aber bräuchte es eine Kreislaufwirtschaft, mit der das Potenzial bereits vorhandener Ressourcen und Technologien voll ausgeschöpft werden könne. Wirtschaftliche Unabhängigkeit bedeute aber auch, dass Europa Vorreiter in Schlüsseltechnologien werden müsse. Insbesondere solle ein Energiebinnenmarkt entstehen und grüne Treibstoffe wie Wasserstoff gefördert werden. Für die ökologische und digitale Transformation der europäischen Wirtschaft benötige Europa jedoch erhebliche private Investitionen. Zudem müsse die europäische Souveränität durch eine gemeinsame Verteidigungspolitik geschützt werden. Vor allem benötige Europa ein gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem. Der geeinte Ausbau sei effizienter und kostengünstiger als wenn jeder Mitgliedsstaat diesen im nationalen Alleingang vorantreibe.
Des Weiteren müsse der Grundsatz der Rechtstaatlichkeit in der Europäischen Union gewahrt und verteidigt werden. Scholz empfahl, EU-Zahlungen an Mitgliedstaaten konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen und der Kommission weitere rechtliche Möglichkeiten einzuräumen, bei Verstößen gegen die Rechtstaatlichkeit und die europäischen Werte Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Der Bundeskanzler rief dazu auf, sofort tätig zu werden: „Europa ist unsere Zukunft, und diese Zukunft liegt in unseren Händen.“ (DWC/ UV)