| Brexit-Poker: Paukenschlag

Supreme Court erklärt Parlamentspause unrechtmäßig und ungültig

Das höchste Gericht des Vereinigten Königreichs, der Supreme Court, hat am 24. September 2019 die von Premierminister Boris Johnson angeordnete Zwangspause des Parlaments für unrechtmäßig und ungültig erklärt.

Seit dem 10. September 2019 waren die Abgeordneten quasi handlungsunfähig, da die Johnson-Regierung zwangsweise eine Pause anberaumt hatte. Diese hätte auch noch bis zum 12. Oktober 2019 andauern sollen. Zwar hatte das Parlament noch im letzten Moment vor der Pause ein No-No-Deal-Gesetz durchgebracht, das Johnson eigentlich verpflichtet, bei der EU eine Verlängerung der Austrittsfrist zu beantragen, bevor es in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November 2019 zu einem ungeregelten Brexit käme. Jedoch hätte die Pause bis zum 12. Oktober 2019 den weiteren Einfluss des Parlaments im Brexit-Poker stark abgeschwächt, sodass Johnsons Drohung, das No-No-Deal-Gesetz nicht zu achten und es auf einen harten Brexit ankommen zu lassen, nach wie vor im Raum steht. In den letzten Tagen warteten daher alle Beteiligten gespannt auf das Urteil des Supreme Court.

Die elf Richter stimmten einstimmig für die Unrechtmäßigkeit der Zwangspause. Die Regierung Johnson ist damit nachhaltig geschwächt. Der Chef der Labour-Party, Jeremy Corbyn, und andere Oppositionsführer legten dem Premierminister den Rücktritt nahe. Für Johnson wird es in jedem Fall schwieriger, sich über das No-No-Deal-Gesetz hinwegzusetzen.

Das Gericht legte die weiteren Schritte nun in die Hände des noch amtierenden Parlamentssprechers John Bercow, der ankündigte, das Parlament unverzüglich wieder zusammenrufen zu wollen. Von Seiten der Kommission gibt es keine Stellungnahme zu der Entscheidung, man wolle nicht die inneren Angelegenheiten Großbritanniens kommentieren. Einzelne EU-Abgeordnete wie beispielsweise der Brexit-Beauftragte im EU-Parlament, Guy Verhofstadt (BE/RE), äußerten sich positiv zur Entscheidung des Gerichtshofs und werteten dieses als Stärkung des Rechtsstaats.

Am Dienstagnachmittag äußerte sich auch Boris Johnson. Selbstverständlich werde er das Urteil der Richter akzeptieren; das Parlament werde nun natürlich zurückkommen, obwohl er die Entscheidung der Richter für nicht richtig halte. Erforderlich sei es nun, mit der EU einen „guten Deal“ auszuhandeln, wobei ihm der Supreme Court und das Parlament die Arbeit nicht erleichterten.

Brisant ist das Urteil insbesondere auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive, da der Supreme Court mit seiner Entscheidung womöglich gegen die Gewaltenteilung verstoßen hat. Die Teilung der Staatsgewalt in gesetzgebende, ausführende und rechtsprechende Tätigkeit ist wie in jedem Rechtsstaat auch im Vereinigten Königreich ein unbestrittenes Grundprinzip der Staatsstruktur. Vor diesem Hintergrund hatte der dem Supreme Court untergeordnete High Court zuvor bereits eine Klage gegen die Zwangspause abgeschmettert. Im Vorfeld des heutigen Urteils hatte ferner der Regierungsanwalt Lord Richard Keen die Richter des Supreme Courts gewarnt, dass es sich hier um für sie „verbotenes Terrain“ handele. Die Präsidentin des Supreme Court, Lady Hale, führte in ihrer Urteilsbegründung indes an, dass sich alle elf Richter einig seien, dass die Streitsache justiziabel sei; der höchste Gerichtshof sehe sich unter den gegebenen Umständen für zuständig, die Machtbalance zwischen Parlament und Regierung zu überwachen.

Noch unklar sind die Auswirkungen des Urteils auf die bis dato festgefahrenen Brexit-Verhandlungen mit der EU. Während sich das EU-Parlament für die Möglichkeit eines Aufschubs ausgesprochen hatte, äußerte sich die aktuelle Ratspräsidentschaft Finnland zurückhaltender. Ministerpräsident Antti Rinne betonte: „Wir sind uns einig, dass Boris Johnson uns seine Vorschläge nun schriftlich zukommen lassen muss – wenn es welche gibt. Falls bis Ende September keine Vorschläge eingehen, dann ist es aus.“ (FP/KH)

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