| Brexit

Wahlanalyse von Guardian-Korrespondentin Jennifer Rankin

Mit dem klaren Sieg der britischen konservativen Tories bei der Parlamentswahl am 12. Dezember 2019 (43,6 Prozent der Stimmen) ist der Brexit zum 31. Januar 2020 ausgemachte Sache. Während bei der Wahl 2015 die Zukunft des Gesundheitswesens und die Einwanderung die dominierenden Themen waren, erachteten nun zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger den Brexit laut Ipsos Mori Issues Index kurz vor der Abstimmung als die wichtigste Herausforderung für Groß-Britannien.

Dass der Brexit letztlich entscheidend für den Ausgang der Wahlen zum Unterhaus war, bekundete auch die Brüssel-Korrespondentin des Guardian, Jennifer Rankin, in ihrer Analyse im Rahmen einer Veranstaltung am 16. Dezember 2019. Die Rechnung von Premierminister Boris Johnson, mit der vorgezogenen Wahl ausreichend Sitze für eine klare konservative Mehrheit gewinnen zu können und damit den EU-Austritt zu vollenden, sei aufgegangen. Zuletzt hätten die Tories einen solchen Sieg in der Blütezeit Margaret Thatchers eingefahren.

Mit der endlosen Wiederholung des Slogans „Get Brexit done!“ (zu Deutsch: Den Brexit zu Ende bringen!) sei es Johnson gelungen, die Konservativen als einzige Option für einen raschen und entschiedenen Brexit zu etablieren. Bemerkenswerterweise sei er auch der populärste konservative Politiker im Land, und dies nicht nur trotz zahlreicher Skandale, mangelnder politischer Initiativen und der offenen Beleidigung bedeutender Bevölkerungsgruppen. Auch die Ergebnisse einer YouGov-Umfrage, der zufolge eine deutliche Mehrheit der Briten in „Boris“ kein Vorbild, sondern einen Mann sieht, der seine Versprechen nicht einhält und sich nicht mit ihnen identifizieren kann, sprechen eine andere Sprache.

Dass er die breite Zustimmung für die Konservativen trotzdem sichern konnte, mag daran liegen, dass der Vorsitzende der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, noch unbeliebter sei, so Rankin. Für die zweitgrößte Partei Großbritanniens war es das schlechteste Ergebnis seit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Zwar sei eine Parallele zum Niedergang anderer sozialdemokratischer Parteien Europas zu erkennen, jedoch sei Corbyn, der viele traditionelle Wähler verloren habe, ein entscheidender Faktor gewesen.

Klar sei aber auch, dass sich das britische Mehrheitswahlsystem zu Ungunsten der liberaleren Parteien ausgewirkt habe: Zum einen hätten etwa die Liberaldemokraten trotz eines Stimmzugewinns von 4 Prozent einen Sitz verloren, da sie ihre Zustimmung vor allem in ihren Hochburgen steigern konnten. Zum anderen seien die Gegner der Konservativen sowohl zu Labour als auch zu den Liberalen Demkraten (kurz: LibDem) abgewandert, was letztlich den Tories genützt habe.

Um eine solche Aufspaltung der Brexit-Befürworter zu vermeiden, hatte Nigel Farage vor der Wahl den Nicht-Antritt seiner Brexit-Partei in 317 konservativ-geführten Wahlkreisen bekannt gegeben. Allerdings ist es der Partei in einigen ehemaligen Labour-Hochburgen gelungen, mehr Wähler für sich zu gewinnen als die Tories, obwohl sie selbst keinen Sitz erkämpft hat.

Die Schottische Nationalpartei SNP fordert nach wie vor ein zweites Unabhängigkeitsreferendum. Die Tatsache, dass die Mehrheit der schottischen Wähler gegen den Brexit gestimmt hat, gibt ihr laut Rankin das Argument an die Hand, dass Schottland nicht gegen seinen Willen zu einem Austritt gezwungen werden dürfe. Allerdings schätzt die Journalistin die Chancen für eine solche Unabhängigkeit in den kommenden Jahren als gering ein, denn die Bürger seien (noch) nicht für die damit verbundenen Konsequenzen bereit: etwa eine harte Grenze zu Großbritannien und die Annahme des Euro.

Sobald der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs Ende Januar offiziell vollzogen sein wird, werden dienächsten Debatten um die künftigen Beziehungen zur EU und den innerbritischen Zusammenhalt folgen: Wie soll ein künftiges Freihandelsabkommen aussehen? Kann es innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden oder wird Premier Johnson eine Verlängerung um ein weiteres Jahr erbitten? Mit anderen Worten: Setzt er auf Zeit oder eher auf Inhalte? Was passiert mit Schottland und Nordirland? Rücken die Konservativen nach rechts und folgt die Labour-Partei dem Kurs ihres Vorsitzenden Corbyn? All diese Fragen lassen erwarten, dass der Brexit noch über den 31. Januar 2020 hinaus die Presse dominieren wird. (JBl)

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