Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat am 4. Dezember 2019 zum sechsten Mal ihren Umweltzustands-Bericht veröffentlicht. Der Bericht „Die Umwelt in Europa – Zustand und Ausblick 2020 (SOER 2020)“ warnt angesichts des alarmierenden Rückgangs der Artenvielfalt und zunehmender Auswirkungen des Klimawandels sowie des übermäßigen Verbrauchs natürlicher Ressourcen vor irreversiblen Kipppunkten. Die EEA mahnt die Dringlichkeit grundlegender Veränderungen in den wichtigsten Produktions- und Konsumsystemen an, die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.
„Die Botschaft ist klar: kein Weiter so“, fasste Professor Hans Bruyninckx, Geschäftsführer der EEA bei der Vorstellung des Berichts zusammen. Stattdessen müssten die Klimaneutralität bis 2050 und der Schutz der Artenvielfalt und Ökosysteme klare Priorität haben. Positiv bewertet die EEA zwar Erfolge bei Ressourceneffizienz (Kreislaufwirtschaft), der Reduktion von Treibhausgasemissionen und bei der Steigerung der Energieeffizienz (Klimaschutz) sowie Luft- und Wasserreinhaltung. Die derzeitigen Anstrengungen würden für die Zukunft jedoch nicht ausreichen. Gegenüber dem letzten Bericht 2015 wurde keine Verbesserung der Umwelttrends erzielt und die Ziele zur Artenvielfalt für 2020 werden überwiegend nicht erreicht.
Nach Angaben der WHO sterben in der EU jährlich über 700.000 Menschen an den Folgen von Umwelteinwirkungen auf die Gesundheit. Bruyninckx begrüßte, die EU habe Fortschritte beim Umstieg auf eine dekarbonisierte Wirtschaft erzielt, aber es gebe weiterhin noch viel Handlungsbedarf beim Naturkapital. Beispielsweise sei bei Feldvögeln im Zeitraum von 1990 bis 2017 ein Rückgang von 32 Prozent zu verzeichnen; bei Schmetterlingen von 39 Prozent. Die überwiegende Mehrzahl der Lebensräume sei in ungünstigem Zustand – gerade mal 16 Prozent der Habitate sind in gutem ökologischem Zustand. Jährlich gelangen acht Millionen Tonnen Plastik in die Ozeane, die zudem durch Überfischung und Überdüngung an Land belastet sind. Hinsichtlich Ressourceneffizienz habe die EU bei der Sortierung und Sammlung zwar Fortschritte gemacht, der Müll insgesamt nehme dennoch weiter zu. Die Wiederverwendungsrate von Materialien in Produkten sei im Zeitraum von 2004 bis 2016 um 50 Prozent gesteigert worden, befinde sich aber immer noch auf einem niedrigen Stand von 12 Prozent Produktanteil.
Dennoch sieht die EEA aufgrund des gestiegenen öffentlichen Bewusstseins noch Chancen, die europäischen Ziele für 2030 und 2050 zu erreichen. Diese seien auch nicht allein durch Politikwandel, sondern nur gemeinsam mit einem gesellschaftlichen Umdenken zu erreichen. Um die Vision „innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten gut zu leben“ zu erreichen, forderte Bruyninckx einen Systemwandel in den vier Schlüsselsektoren Lebensmittel, Energie, Mobilität und bebaute Umwelt. Dazu empfiehlt der Bericht die Umsetzung des bestehenden Umweltrechts mit den Vorgaben, das übergeordnete Nachhaltigkeitsziel durch Sektorstrategien (etwa zu Ernährung, Chemikalien und Landnutzung) zu konkretisieren, eine bessere Integration von Umwelt- und Gesundheitspolitik sicherzustellen, Forschung und Innovation zu fördern, den Finanzsektor auf nachhaltige Investitionen auszurichten und den Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten. Denn die in der EU am stärksten von Umweltverschmutzung betroffenen Gegenden sind überwiegend zugleich die wirtschaftlich schwächsten in der EU und liegen vorwiegend in Osteuropa.
Mit Blick auf die laufende internationale Klimaschutzkonferenz COP25 und die globale Biodiversitätskonferenz COP14 im nächsten Jahr fordert der Bericht, die EU solle Einfluss zugunsten ehrgeiziger Abkommen ausüben.
Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, sieht in dem Bericht eine Bestätigung für den von der Kommission geplanten Green Deal, über den der Umweltrat bereits am 19. Dezember 2019 diskutieren wird: „In den nächsten fünf Jahren werden wir eine wirklich transformative Agenda aufsetzen, indem wir neue saubere Technologien einführen, den Bürgern helfen, sich an neue Beschäftigungsmöglichkeiten und sich verändernde Branchen anzupassen und sich auf sauberere und effizientere Mobilitätssysteme sowie nachhaltigere Lebensmittel und Landwirtschaft umzustellen.“
Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius bekannte sich zu seinen Aufträgen, zuerst eine neue Biodiversitätsstrategie für die EU vorzulegen, sowie die Kreislaufwirtschaft und Verschmutzungsfreiheit (null-Verschmutzung, engl. zero pollution) weiter voranzutreiben.
Der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin, erklärte das geplante Gesetz zur Klimaneutralität als Priorität, da damit der Übergang vom Einstimmigkeits- zum Mehrheitsprinzip eingeleitet werde. Außerdem sei es erforderlich, dass für 2030 das Zwischenziel von mindestens 55 Prozent Reduktion der Treibhausgase ebenso verbindlich aufgenommen werde.
Die EEA veröffentlicht seit ihrer Gründung 1995 alle fünf Jahre auf Grundlage von Daten aus den Mitgliedstaaten einen Bericht über den Zustand der Umwelt. (TS)
Bericht: https://www.eea.europa.eu/publications/soer-2020
Zusammenfassung: https://www.eea.europa.eu/de/publications/die-umwelt-in-europa-zustand
Pressemitteilung der Kommission: https://ec.europa.eu/germany/news/20191204-eu-umweltagentur-besorgt_de