In den frühen Morgenstunden des 21. April 2021 einigten sich die Verhandlungsführer des Rates, der Kommission und des Europäischen Parlaments zum sogenannten EU-Klimagesetz. Die EU möchte sich damit verpflichten, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Bislang galt ein Ziel von minus 40 Prozent. Das Parlament forderte minus 60 Prozent sowie eine strengere Berechnungsmethode, bei der Kohlenstoffsenken nicht abgezogen werden (Beschluss vom 7. Oktober 2020).
Während sich die parlamentarische Berichterstatterin Jytte Guteland (SE/S&D) erleichtert zeigte, das Parlament habe erreicht, dass Kohlenstoffsenken kein Schlupfloch für weniger Emissionsreduktionen sein könnten, kritisierte der Schattenberichterstatter der Grünen, Michael Bloss (DE/EFA), das 55-Prozent-Ziel der Kommission entspreche nur 52,8 Prozent echter Emissionsminderungen nach der Kalkulation des Parlaments.
In der Summe werden laut Guteland fast 57 Prozent Reduktionen erzielt. Guteland und Kommission sehen als Verbesserung, dass die Senken durch Aufforstung auf 300 Megatonnen CO2-Äquivalente erhöht werden, um das Netto-Ziel zu erhöhen. Dies soll mit der für Juni 2021 angekündigten Überarbeitung der Regelung für die Anrechnung der Emissionen von Industriestaaten aus der Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF-VO) erfolgen. Dem widerspricht Bloss mit Verweis auf die bereits spürbaren Klimawandelfolgeschäden wie Dürren und erklärt, dass die Vergrößerung von Senken zunehmend schwieriger wird.
Die portugiesische Ratspräsidentschaft habe das Mandat des Rates, das die Staats- und Regierungschefs am 11. Dezember 2020 beschlossen hatten, nicht ändern können, sodass die prozentuale Höhe von mindestens 55 Prozent Reduktion feststand, stellte der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin (FR/RE) fest. Das Parlament habe daher nur die Möglichkeit gehabt, über die Berechnungsmethode substantielle Verbesserungen zu erreichen.
Pascal Canfin bezeichnete das Klimagesetz dennoch als bahnbrechend. Indem es auf einen Schlag 50 Gesetze ändere, bringe es einen Systemwandel. Bis 2030 werde die EU nun 2,5mal schneller ihre Treibhausgasemissionen reduzieren als bislang [mit dem 40 Prozent-Ziel vorgesehen]. Alle neuen Legislativvorschläge der Kommission müssen mit dem Klimaneutralitätsziel bis spätestens zur Jahrhundertmitte konsistent sein (mainstreaming). Wenn dies nicht der Fall sei, müsse die Kommission begründen, warum dies nicht der Fall sei. Die Überprüfung auf Vereinbarkeit mit dem Klimaneutralitätsziel gelte auch für die Ko-Gesetzgeber, Rat und Parlament. Halte ein Mitgliedstaat das Klimagesetz nicht ein, drohen finanzielle Sanktionen im Rahmen der für Juni 2021 angekündigten Lastenteilungsverordnung.
Andererseits hat der Rat jedoch durchgesetzt, dass kein Recht auf Klimaschutz eingeführt wird. Hinsichtlich der Forderung des Parlaments nach einem Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe hat die Kommission eine Behandlung im Rahmen der Governance-Verordnung in Aussicht gestellt.
Für das Parlament sei es ein wichtiges Anliegen gewesen, den Vorschlag substanziell weiter zu verbessern, so Guteland. Das Parlament habe darauf bestanden, dass die Emissionen nach 2050 negativ sein müssen. Besonders stolz zeigte sich Guteland über die Einigung auf ein Treibhausgasbudget, das die Leitlinie für ein weiteres Zwischenziel der EU im Jahre 2040 bilde. Das Budget soll jedoch nur für den Zeitraum von 2030 bis 2050 gelten. Die Kommission soll den Vorschlag Mitte 2024 vorlegen. Das Parlament konnte ebenfalls durchsetzen, dass ein wissenschaftlicher Expertenrat die Reduktionen begleitet. Das Klimagremium aus 15 Mitgliedern, deren Zusammensetzung hinsichtlich Geschlecht und Mitgliedstaat ausgewogen sein soll, soll die Kommission wissenschaftlich beraten. Das auf vier Jahre erteilte Mandat kann einmal verlängert werden.
Der Zeitpunkt sei laut Guteland wichtig, um beim US-Klimagipfel am „Tag der Erde“ am 22. April zu präsentieren, dass die EU ein ehrgeiziges Klimagesetz habe, das für die UN-Vertragsstaatenkonferenz COP26 im November 2021 die Richtung für die Erreichbarkeit des Pariser Klimaabkommens weise. Guteland zeigte sich überzeugt, dass die EU mit dem nun beschlossenen Klimagesetz eine globale Vorbildrolle einnehme. Bloss dagegen kritisierte, das Klimagesetz entpuppe sich als „PR-Projekt mit blumigen Worten“ und werde den Anforderungen des Pariser Klimaabkommens nicht gerecht, der Green Deal werde damit „auf Sand gesetzt“. Bloss kritisierte, dass das Klimaneutralitätsziel bis spätestens 2050, anders als vom Parlament gefordert, nicht für alle Mitgliedstaaten, sondern nur für die EU insgesamt Verbindlichkeit erreiche.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte indes die Einigung als „Meilenstein“ für den Green Deal. Exekutivvizepräsident Frans Timmermans äußerte seine Hoffnung, die guten Nachrichten der Einigung aus der EU würden die internationalen Partner beim Gipfel am Folgetag zu eigenen Vorschlägen inspirieren. Die konkrete Umsetzung in den Sektoren soll das für Juni 2021 geplante Legislativpaket „Fit für 55“ enthalten, das beim Umweltrat am 21. Juni 2021 sowie von den Staats- und Regierungschefs am 24. und 25. Juni 2021 diskutiert werden soll.
Die vorläufige Einigung zum Klimagesetz muss noch formal von Parlament und Rat angenommen werden. Canfin äußerte seine Zuversicht, dass die Fraktionen S&D, RE und EVP im Parlament über eine ausreichende Mehrheit verfügen. Die Kommission hatte das Klimagesetz (COM(2020)36) am 4. März 2020 vorgeschlagen, um das Ziel des Green Deal, die Klimaneutralität der EU bis spätestens 2050, legislativ zu verankern. Die Erhöhung des EU-Klimaziels 2030 auf mindestens 55 Prozent Treibhausgasreduktionen hatte die Kommission nach einer Folgenabschätzung am 17. September 2020 vorgeschlagen (COM(2020)563). (TS)
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