Nach Jahren der Kritik und des Streits innerhalb der Parteien in der Fraktion hat Fidesz am 3. März 2021 die Fraktion der europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament (EP) verlassen. Die Partei des ungarischen Premierministers Viktor Orbán ist damit einem Ausschluss zuvorgekommen. In den folgenden Tagen und Wochen wird sich zeigen, welchen Weg die Partei Fidesz innerhalb des EP einschlagen kann.
Orbán hatte dem Fraktionsvorsitzenden der christlich-konservativen EVP, Manfred Weber, den Austritt der 12 Fidesz-Abgeordneten in einem Brandbrief mitgeteilt. Anlass war die am 3. März 2021 angenommene Änderung der Geschäftsordnung. Die Änderungen sehen unter anderem vor, dass auch Gruppen von Fraktionen ausgeschlossen werden können. Die EVP hatte bereits angekündigt, Orbáns Partei ausschließen zu wollen. Ein Zeitplan zum Anschlussverfahren war allerdings nicht bekannt. Die Mitgliedschaft der Fidesz-Partei war ohnehin seit 2019 suspendiert.
Erleichterung stellt sich bei den anderen Fraktionen des EP jedoch nicht ein. Das lange Zuwarten der EVP, diesen „überfälligen“ Schritt zu gehen, sehen manche als Zeichen, dass die Zugehörigkeit der Fidesz bei der EVP mehr als geduldet war. Damit wurden schwerwiegende Verletzungen von demokratischen Prinzipien wie Meinungs- und Pressefreiheit oder der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn indirekt auch von den in der EVP einflussreichen deutschen Unionsparteien toleriert.
Viktor Orbán hatte in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Themen immer wieder sein Veto eingelegt und jüngst bei den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) die Etablierung des von vielen gewünschten sehr rigorosen Rechtstaatsmechanismus zur künftigen Verteilung von EU-Fördermitteln effektiv verhindert und den unter deutscher Ratspräsidentschaft ausgehandelten Kompromiss als Sieg für sich verbucht. Die EVP hat nunmehr der weiteren Verbreitung von Orbáns Ideologie einer „illiberalen Demokratie“ innerhalb der christlich-konservativen Parteienfamilie Einhalt geboten. Das lässt auch die Frage zu, wo Orbán – der seit 28 Jahren Parteivorsitzender ist - nun Unterschlupf finden wird.
Mit dem Austritt sinkt die Zahl der EVP-Abgeordneten im Europäischen Parlament auf 175 Abgeordnete. Damit bleibt sie aber auch weiterhin stärkste Kraft im EP. Es stellt sich indessen die Frage, ob sich Fidesz einem neuen Lager anschließen wird (beispielsweise der nationalkonservativen EKR-Fraktion, der unter anderem die polnische PiS angehört) oder der Fraktion Identität und Demokratie (ID), zu denen die AfD und die italienische Lega gehören.
Ob es für einen Staatschef von Viktor Orbáns Machttypus attraktiv ist, sich in der Peripherie einzurichten, bleibt abzuwarten. Zur Mehrheitsbildung brauchte die EVP die Stimmen der Fidesz-Abgeordneten bisher nicht. Umso verblüffender ist es, dass es für den Ausschluss der Partei so lange gebraucht hat. (sch)